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Lissabonvertrag

Dr. Wolfgang Klein


 

Bedingt durch den politischen Ablauf hat dieser Artikel einen erheblichen Umfang erlangt, der wahrscheinlich durch notwendige Ergänzungen noch zunehmen wird. Deshalb wird das nachfolgende Inhaltsverzeichnis vorangestellt:

Teil 1: Der EU-Verfassungsvertrag

Teil 2: Der Vertrag von Lissabon

Teil 3: Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Lissabon-                 Vertrag

 

Teil 1:  Der EU-Verfassungsvertrag

Der Vertrag über eine Verfassung für Europa umfaßte 448 Artikel auf 349 Seiten. Hinzu kommen Protokolle und Anhänge auf 382 Seiten und weitere 121 Seiten mit Erklärungen und Erläuterungen, zusammen 852 Seiten ( abzurufen aus www. europa.eu.int., ”Deutsch” wählen, Suchwort ”Verfassung” ; oder aus dem Amtsblatt der EU herunterladen). Die deutschen Bürger = Wähler waren nicht gefragt. Eine nennenswerte Diskussion dieses Mammutwerkes hat ( deshalb ?) in der deutschen Öffentlichkeit nicht stattgefunden. In unserem Lande lag die Entscheidung, ob die Deutschen diesen Verfassungsvertrag haben wollen oder nicht, primär beim Deutschen Bundestag. Der stimmte mit großer Mehrheit (569 Jastimmen, 23 Neinstimmen, 2 Enthaltungen) zu. Die meisten Neinsager kamen aus der Unionsfraktion. ”Die Unionsführung setzt die Gegner des EU- Verfassungsvertrags vor der Abstimmung im Bundestag am kommenden Donnerstag unter Druck” hieß es in der FAZ vom 09.05.2005 und der europapolitische Sprecher der Unionsfraktion, Hintze, wandte sich mit scharfen Worten gegen die Kritiker: "Wer gegen den EU-Verfassungsvertrag stimmt, versündigt sich an den Interessen Deutschlands" !!, war im gleichen Artikel zu lesen. Vielleicht sollte man an dieser Stelle statt zweier Ausrufungszeichen besser drei Fragezeichen setzen. Der Abstimmung ging eine ”Debatte” voraus, die eigentlich keine war: Die meisten Redner sangen unter Einflechtung dieser und jener kleinen Mängelrüge ein Loblied auf den vorliegenden Verfassungsvertrag und rühmten den mit ihm verbundenen Fortschritt ( Quelle: http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/themen/Europa/verf-ratifiz-bt.html ). Worin der bestehen soll, ist jedoch nicht recht deutlich geworden. Umso deutlicher und ganz ungeschminkt wurde gesagt, daß von der Entscheidung des Deutschen Bundestages wegen des dort bevorstehenden Referendums Signalwirkung  nach Frankreich ausgehen solle. Ob das zu den Aufgaben des Hohen Hauses gehört? Jedenfalls beeilte sich der Deutsche Bundesrat noch rechtzeitig vor dem Referendum, ebenfalls mit ”überwältigender Mehrheit”, dem Vertragswerk zuzustimmen. Der CSU-Europapolitiker Gerd Müller, der zu den Neinsagern gehörte, begründete seine Ablehnung in der Zeitschrift "Focus" damit, daß "die EU" künftig "in fast alle nationalen Zuständigkeiten eingreifen" könne (FAZ vom 09.05.2005). Ein anderer Neinsager, der CSU-Bundestagsabgeordnete Dr. Peter Gauweiler erhob Verfassungsbeschwerde gegen den Vertrag und der Bundespräsident kündigte an, die Ratifizierungsurkunde für den Verfassungsvertrag erst dann zu unterzeichnen, wenn das Bundesverfassungsgericht über die Verfassungsbeschwerde Gauweilers entschieden habe (FAZ vom 17.06.2005). Soweit die innerdeutsche Seite der Angelegenheit.

Am 29.05.2005 haben die Franzosen und am 01.06.2005 die Niederländer den Verfassungsvertrag per Referendum abgelehnt. Und nun begann in Deutschland ein seltsames Schauspiel. Hieraus einige beispielhafte Scenen:

ZDF Heute 19.00 Uhr am 02.06.2005:

Frau Dr. Angela Merkel: ”Ein einfaches ´weiter so`, ein ´Augen zu und durch` darf es nach dem Votum der Niederländer auf keinen Fall geben. Wir müssen den Menschen zeigen, daß wir ihre Sorgen ernst nehmen.”

Europaabgeordneter Elmar Brok (Christdemokraten): ” ......, daß wir Schluß machen müssen mit schneller Erweiterung. Dazu gehört auch die Türkeidebatte.”

Europaabgeordneter Martin Schulz ( Fraktionsvorsitzender Sozialdemokraten): ”Die Bürger wollen nicht, daß sie das Gefühl haben, Brüssel regelt alles bis ins letzte Detail.”

ARD Tagesschau 20.00 Uhr am 02.06.2005: Claudia Nothelle berichtet:

Die Niederlande europamüde, die Stimmung an der Botschaft in Berlin gedrückt. Für die Union steht fest: eine Kurskorrektur in der Europapolitik ist unumgänglich.

Angela Merkel, CDU-Vorsitzende: "Das heißt, daß wir endlich die Grenzen in Europa abstecken müssen. Das heißt, daß wir mit der überbordenden Bürokratie Schluß machen müssen und das heißt, daß wir nicht am Stabilitätspakt herummogeln dürfen."

 

Eine bessere Verfassung wird es nicht geben, da ist sich zumindest der Außenminister ( ”Joschka” Fischer; Anm. d. Verf.) sicher.

Joschka Fischer, B.90/Grüne, Bundesaußenminister: "Die Welt wird auf uns nicht warten und die Herausforderungen, vor denen wir innereuropäisch stehen wie auch die Rolle der EU in der Außenpolitik wird uns sehr, sehr fordern. Deshalb bedarf es jetzt gründlichen Nachdenkens."

Im Zweifelsfall will CSU-Chef Stoiber die Verfassung überarbeiten. Edmund Stoiber, CSU-Vorsitzender: "Da bleibt nur, die unbestrittene Grundrechtscharta und bestimmte institutionelle Teile wie die doppelte Mehrheit und manches andere dann neu zu fassen, und sie dann erneut noch einmal vorzulegen."

Nach einer ARD-Umfrage wünschen sich 54 Prozent der Deutschen Änderungen an der EU-Verfassung.

ZDF heute-Journal am 02.06.2005:

Europaabgeordneter Elmar Brok (Christdemokraten): ”Der Wechsel sieht so aus, daß wir Schluß machen müssen mit schneller Erweiterung. Dazu gehört auch die Türkeidebatte, daß wir insbesondere auch deutlich machen müssen, daß nicht alles ......, was nicht nötig ist, hier beschlossen wird und wir damit die Bürger verärgern und Überregulierung zustande bringen.”

Europaabgeordneter Martin Schulz (Fraktionsvorsitzender Sozialdemokraten): ”Der Wind bläst uns kräftig ins Gesicht. Was wir machen sollten ist, mit vereinten Kräften gegen den Wind steuern, aber so, daß die Leute sehen, wir strengen uns an, wir gehen auf die Bürgerinnen und Bürger, die skeptisch sind, zu.”

Kommentar:

Es mutet schon merkwürdig an, wenn aus der gleichen Richtung, aus der zuvor vehement für die Ratifizierung plädiert und dann mit ”überwältigender” Mehrheit auch ratifiziert wurde, plötzlich grundlegende Zweifel geäußert werden, die Neinsager sich also wohl doch nicht an Deutschland ”versündigt” haben und der Herr Bundesaußenminister mit seiner brillanten Intelligenz den Bedarf gründlichen Nachdenkens entdeckt. Vertrauen erweckend ist das alles jedenfalls nicht. Es ist angesichts der nach den ablehnenden Referenden eingestandenen erheblichen Mängel schwer zu verstehen, daß Bundestag und Bundesrat diesem Vertrag über eine Verfassung für Europa mit so großer Mehrheit zugestimmt haben. Die Unbefangenheit, Unbekümmertheit, mit der hier ein Schwenk um teilweise 180° vollzogen wurde, ist schon erstaunlich, aber auch beunruhigend. Der von Herrn Joschka Fischer entdeckte Bedarf gründlichen Nachdenkens besteht sicher, und zwar nicht erst jetzt. Gründliches Nachdenken war in dieser Sache schon lange angezeigt und es empfiehlt sich, es in allen Fällen stets und nicht erst bei sondern vor jeder Problembehandlung  anzuwenden, und zwar auch in der Politik !

Nach der Ablehnung durch Franzosen und Holländer ist auch in Deutschland - endlich !! - eine Diskussion in Gang gekommen, in der nicht ganz selten mit unverhohlener Skepsis die Frage gestellt wird, wieviel Abgeordnete das 800- Seiten-Monster von Vertrag gelesen und dann auch noch gründlich durchgearbeitet haben und es wird vermutet, die ”überwältigende Mehrheit” bei den Abstimmungen könnte in unzureichendem Aktenstudium ihre Ursache haben. Als Nichtjurist stolpert man bereits auf Seite 12 des Vertrags, und zwar über Artikel I-6. Er trägt die Überschrift ”Unionsrecht” und lautet: Die Verfassung und das von den Organen der Union in Ausübung der der Union übertragenen Zuständigkeiten gesetzte Recht haben Vorrang vor dem Recht der Mitgliedstaaten. Heißt das, Unionsrecht annulliert automatisch älteres nationales Recht, wenn letztgenanntes neu gesetztem Unionsrecht entgegensteht? Sind nationale Parlamente verpflichtet, älteres nationales Recht so zu verändern, daß es neu gesetztem Unionsrecht voll entspricht? Gilt das alles auch für unsere Verfassung, das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland?  Muß befürchtet werden, daß unser Grundgesetz durch die Hintertür durch Unionsrecht ausgehebelt wird, durch Unionsrecht, das mehrheitlich durch Europaabgeordnete oder Angehörige der EU-Organe gesetzt wird, die wir Deutsche weder gewählt haben noch haben wollen? Die Verflechtungen zwischen EU-Recht und nationalem Recht sind kompliziert und für den juristischen Laien kaum überblickbar. Die sich daraus ergebenden Fragen, müssen für jedermann verständlich beantwortet werden. Das kann nicht durch gebetsmühlenartige Wiederholung die EU-Vorzüge preisender Worthülsen geschehen! Jedenfalls kann einem Angst und Bange werden, wenn man hören muß, daß die Richtlinienproduktion Brüssels derzeit bei 1000 ( in Worten: eintausend ) Stück pro Jahr liegt, wenn man erfährt, daß in deutschen Städten aufgrund einer EU- Richtlinie neben im Straßenpflaster bündig verlegten Straßenbahnschienen Bordsteine verlegt werden müssen, seitenlange Elaborate über die Beschaffenheit von EU-Bananen oder Gurken und ähnlicher Schwachsinn verfaßt wird. Als Beispiel die Seite 1 der achtseitigen ”Gurkenverordnung”:

Verordnung (EWG) Nr. 1677/88 der Kommission  vom 15. Juni 1988   zur Festsetzung von Qualitätsnormen für Gurken   (ABI. L 150 v. 16.06.1988, S. 21) geändert durch: s. Fußnoten unter 1

Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat die folgende Verordnung erlassen:

Artikel  1

Die Qualitätsnorm für Gurken der Unterposition 0707 00 11 und 0707 00 19 der Kombinierten Nomenklatur stehen im Anhang dieser Verordnung.

Diese Normen gelten für alle Vermarktungsstufen unter den in der Verordnung (EWG) Nr. 1035/72 vorgesehenen Bedingungen.

Auf den der Versandstufe folgenden Vermarktungsstufen dürfen die Erzeugnisse jedoch von den Normenvorschriften hinsichtlich Frische- und Prallheitsgrad, die geringfügig nachgelassen haben, und hinsichtlich geringfügiger Veränderungen infolge biologischer Entwicklungsvorgänge und ihrer Verderblichkeit abweichen.

Artikel 2

Die Verordnung Nr.183/64/EWG wird wie folgt geändert: In Artikel 1 Absatz 2 wird der zweite Gedankenstrich gestrichen, der Anhang I Teil 2 wird gestrichen.

Artikel 3

Die Verordnung (EWG) Nr. 1194/69 wird wie folgt geändert: In Artikel 1 werden die Worte "und Gurken" gestrichen, der Anhang VII wird gestrichen.

Artikel 4

Diese Verordnung tritt am 1. Januar 1989 in Kraft. Diese Verordnung ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat.

1 (Fußnoten)

geändert durch:

VO (EG) Nr. 888/97 der Kommission vom 16. Mai 1997, ABl. L 126, vom 17.5.1997,

VO (EG) Nr. 46/2003 der Kommission vom 10. Jänner 2003, ABl. Nr. L 7 vom 11.1.2003, S. 61,

berichtigt durch VO (EG) Nr. 6/2005, ABl. Nr. L 2 vom 5.1.2005, S.3 und

VO (EG) Nr. 907/2004 der Kommission vom 29. April 2004, ABl. Nr. L 163 vom 30.4.2004, S.  50.

Die Änderungen sind in den vorliegenden Text eingearbeitet worden.

 

Ende der EU-Gurkenverordnung

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Unter der Überschrift ”Das Gute behaltet” schreibt Prof. Dr. Emanuel Richter (der Verfasser lehrt Politische Wissenschaft an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen) in der FAZ vom 06.Juni 2005: Für den Bürger liegt das europäische Regelwerk oft jenseits des eigenen Horizonts. Die nationale Ebene, der Nationalstaat beherrscht nach wie vor die Formen der kooperativen Lebensbewältigung, im Politischen und Wirtschaftlichen wie im Sozialen und Kulturellen. Die Europäische Union, in ihrer ursprünglichen Dynamik ein Bündnis für die friedliche Koexistenz und nunmehr verstärkt ein Großunternehmen zur Herstellung eines Binnenmarkts, kann und muß da nicht mithalten. Sie ist weit entfernt von den Horizonten individueller Lebensbewältigung, und ihre Staatsqualität bleibt aus prinzipiellen Gründen nachrangig gegenüber der des nationalen Kollektivs. Die immer wiederkehrenden Versuche, die Staatsähnlichkeit der EU hervorzuheben, verkennen das Problem.

 

Und zum Abschluß aus einem Leserbrief von vielen gleichsinnigen Inhalts: ”Im gescheiterten Referendum nutzten Franzosen und Holländer die Freiheit, die uns Deutschen verwehrt wurde. Sie folgten  ihrem Instinkt zur Selbsterhaltung, um sich per Schleudersitz aus dem Blindflug über Europa zu retten. Mit diesem Veto geben sie unserer verordneten Sprachlosigkeit eine Stimme und neue Hoffnung: Hoffnung auf rechtzeitiges Innehalten des irrsinnigen Erweiterungswahnes und somit die Reduzierung der ”Balkanisierungs-Gefahr"; Hoffnung auf die Wiedergewinnung nationaler Kompetenzen und damit mehr Bürgemähe und Schutz kultureller Vielfalt; ............... Hoffnung auf Neuorientierung des europäischen Weges zugunsten der gemeinsamen Kernaufgaben Verteidigung und Sicherheit. Daß ungeachtet dessen Bürokraten vom Schlage eines Verheugen den Ratifizierungsprozeß durchtreiben, bestätigt in dramatischer Weise die Richtigkeit der Wählerentscheidung in Frankreich und Holland (FAZ vom 09.06.2005, Martin Hartmann, Babenhausen)”.

Erinnern wir uns:  Als der europäische Einigungsprozeß begann, hieß das Ziel ein ”Europa der Vaterländer” !

W. K.      August 2005

 

Teil 2: Der Vertrag von Lissabon

Gegen das vom Deutschen Bundestag und Bundesrat beschlossene Gesetz zur Ratifizierung des EU-Verfassungsvertrages hatte u.a. der CSU-Abgeordnete Dr. Gauweiler Verfassungsbeschwerde erhoben. Zu dieser nahm der Berichterstatter des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts, Prof. Dr. Broß, wie folgt Stellung:

“Angesichts der anhaltenden Diskussion über die Fortführung des Europäischen Verfassungsprozesses nach dem Scheitern der Referenden in Frankreich und den Niederlanden und der Absicht der Europäischen Union, während des deutschen EU-Ratsvorsitzes im ersten Halbjahr 2007 einen Fahrplan vorzulegen, wie ein - möglicherweise veränderter – Vertrag unter neuem Namen bis 2009 in Kraft treten kann, sehe ich für eine Entscheidung über die anhängige Verfassungsbeschwerde gegen das Zustimmungsgesetz zum Vertrag für eine Verfassung für Europa gegenwärtig keine Priorität. Werden Änderungen oder Ergänzungen des Vertragstextes oder seiner Begleitprotokolle vorgenommen, so haben Bundestag und Bundesrat erneut über das Gesamtpaket zu beschließen. Dem Beschwerdeführer steht es frei, gegen das entsprechende Zustimmungsgesetz wiederum mit der Verfassungsbeschwerde vorzugehen. Gegen ein Inkrafttreten des Vertragstextes in seiner gegenwärtigen Form ist er durch die verbindliche Zusage des Herrn Bundespräsidenten, den Verfassungsvertrag nicht zu ratifizieren, bevor das Bundesverfassungsgericht über die Verfassungsmäßigkeit des Zustimmungsgesetzes entschieden hat, auch weiterhin ausreichend geschützt. Eine Entscheidung zum gegenwärtigen Zeitpunkt könnte das Bundesverfassungsgericht in die Rolle eines Mitgestalters des Europäischen Verfassungsprozesses führen, die mit seiner Funktion als Träger der Letztentscheidungskompetenz unvereinbar ist. Sollte sich in naher Zukunft abzeichnen, daß es beim gegenwärtigen Vertragstext verbleibt, werde ich die Arbeit an der Verfassungsbeschwerde wieder aufnehmen. Bis zum Jahr 2009, dem nunmehr vorgesehenen Zeitpunkt für ein Inkrafttreten des Vertrages, bleibt für eine Entscheidung in jeden Fall ausreichend Zeit.” Das Zustimmungsgesetz ist somit bisher nicht in Kraft getreten (Quelle:  www.peter-gauweiler.de Pressemitteilung vom 31.10.06.).

Was ist denn nun nach den gescheiterten Referenden aus den reumütigen Politiker-Versprechen geworden, die Sorgen der Menschen ernst  nehmen zu wollen ? Am eindrucksvollsten ist das einhellige Bemühen, für die Ratifizierung des neuen Vertragswerkes künftig Referenden zu umgehen, nicht mehr zuzulassen !!! Einzige, rühmliche  Ausnahme ist Irland. So werden also die Sorgen der Menschen ernst genommen !!??!! Ob das den Vätern des Grundgestzes (GG) vorschwebte, als sie in dessen Artikel 20  Absatz 2 formulierten: ”Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus” ???

Es ist nicht einfach, sich über die inzwischen erfolgten Entwicklungen, Maßnahmen und Entscheidungen zu informieren. Nach der Ablehnung in Frankreich und den Niederlanden wurden die Verfahren zur Ratifizierung des EU- Verfassungsvertrages in den Ländern, die den Vertrag noch nicht ratifiziert hatten, eingestellt. In den zuständigen Gremien der EU wurde das Verfassungskonzept, wonach alle bestehenden EU-Verträge aufgehoben und durch einen einheitlichen Text mit der Bezeichnung ”Verfassung” ersetzt werden sollten, ausdrücklich aufgegeben. Stattdessen soll die EU – wie bisher – auf zwei Verträgen beruhen:

   * auf dem Vertrag über die Europäische Union (Vertrag von Maastricht; EUV) und

   * auf dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (Vertrag von Rom; EGV), welcher nun in ”Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union” (AEUV) umbenannt wird.

In diese beiden Verträge sollte  die Substanz  des durch Referenden in Frankreich und Holland abgelehnten EU- Verfassungsvertrags eingearbeitet werden. Die beiden vorstehend genannten Verträge müssen/mußten  demnach geändert werden. Die Vereinbarung über deren  Änderung ist der sogenannte ”Vertrag von Lissabon”.

Der Vertrag von Lissabon (ursprünglich auch EU-Grundlagenvertrag bzw. Reformvertrag genannt) soll der Europäischen Union eine einheitliche Struktur und Rechtspersönlichkeit geben und den abgelehnten Vertrag über eine Verfassung für Europa (VVE) ersetzen. Beim EU-Gipfel am 18. und 19. Oktober 2007 einigten sich die Staats- und Regierungschefs auf den endgültigen Vertragstext, der am 13. Dezember 2007 in Lissabon unterzeichnet wurde. Bis Mitte 2009 soll der Vertrag durch alle Mitgliedstaaten ratifiziert sein. Lediglich in Irland wird am 12. Juni 2008 ein Referendum über den Vertrag abgehalten (Quelle: u.a. in Wikipedia, Suchwort ”Vertrag von Lissabon”, Internetadresse http://de. wikipedia.org/wiki/ Vertrag_von_Lissabon). Die Konsolidierte Fassung der beiden Verträge und damit den   Volltext des Vertrages von Lissabon findet sich unter der Internetadresse http://www.consilium.europa. eu/uedocs/cmsUpload/st06655.de08.pdf

In der Internetversion umfaßt das neue Vertragswerk 479 Seiten. Hinzu kommt eine Vielzahl von Dokumenten, Quellen und Referen- zen, die unter www. wikipedia.org /wiki/Vertrag von Lissabon oder bei Wikipedia unter dem Suchbegriff ”Vertrag von Lissabon” eingesehen werden können und ihrerseits noch einmal mehrere hundert Seiten umfassen dürften. Vom Umfang her ist der Vertrag von Lissabon ein ebensolches Monster wie sein Vorgänger, der sogenannte EU-Verfassungsvertrag. An Unübersichtlichkeit übertrifft er den bei weitem. Zweifel daran, daß die über die Ratifizierung entscheidenden Politiker alle ausreichende Kenntnis des Inhalts erworben haben,  sind genau so berechtigt, wie beim gescheiterten Verfassungsvertrag.

Zwar kommt das Wort Verfassung nicht mehr vor und ist der Wortlaut ”die Verfassung und das von den Organen der Union in Ausübung der der Union übertragenen Zuständigkeiten gesetzte Recht haben Vorrang vor dem Recht der Mitgliedsstaaten” (Artikel I- 6 des EU-Verfassungsvertrages) nicht mehr auffindbar. Dafür gibt es gestufte Zuständigkeiten und in Artikel 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der EU unter Ziffer 6 den Satz: Der Umfang der Zuständigkeiten der Union und die Einzelheiten ihrer Ausübung ergeben sich aus den Bestimmungen der Verträge zu den einzelnen Bereichen !!!, das heißt, die einschlägigen Bestimmungen sind zerstückelt im Vertragswerk verstreut. Auf diese Weise ist kaum zu erkennen, in welchem Umfang Organe der EU in nationale Rechtssetzung, Rechtsprechung und Verwaltung hineinwirken könnten. Auf die oben zitierte Gurkenverordnung sei als abschreckendes Beispiel verwiesen.

Umfangreiche Kritik findet sich bei Wikipedia unter der oben angegebenen Adresse. Hieraus einige Beispiele: Der Vertrag von Lissabon übernimmt die Substanz des EU-Verfassungsvertrags nahezu unverändert. Nach einer Analyse von Open Europe unterscheiden sich der Verfassungsvertrag und der Vertrag von Lissabon in nur 10 von 250 Vorschlägen, d.h. 96% des Textes des Verfassungsvertrags wurde in den Vertrag von Lissabon kopiert. Kritisiert wurde die Praxis, dass erst am 16. April 2008 vom Rat der Europäischen Union eine Gesamtdarstellung des neuen Vertrages veröffentlicht wurde. Mit Rücksicht auf die Ratifizierungsverfahren konnten sich staatliche Institutionen zunächst nicht dazu entscheiden, Bürgern eine konsolidierte Fassung des Vertrages zur Verfügung zu stellen. Von mehreren Seiten, u.a. von Giscard d’Estaing, dem Präsidenten des Verfassungskonvents, wird kritisiert, dass der Vertrag von Lissabon bloß “kosmetische” Änderungen vornehme und die Inhalte des EU-Verfassungsvertrags lediglich anders darstelle, um diese “leichter verdaulich” zu machen und Referenden zu vermeiden, dass der Vertrag möglicherweise absichtlich unlesbar gestaltet wurde, um Referenden auszuweichen und das Mandat für die Regierungskonferenz in Geheimver- handlungen auf Regierungsebene unter Ausschluss der Öffentlichkeit erarbeitet worden ist, dass das institutionelle Demokratiedefizit der EU nicht gelöst und teilweise verschärft worden sei (kaum kontrollierbare Macht der Ministerialbeamten im Rat, Legitimation der EU-Verträge und der EU-Kommission, Gewaltenteilung, fehlendes Initiativrecht des Parlaments, Ersatz-Gesetzgebung durch EU- Fallrecht, eigenmächtige Kompetenzerweiterungen der EU- Institutionen).

Nachfolgend eine Auswahl aus fast zahllosen weiteren kritischen Äußerungen:

Christian Kirchner, Ökonom und Jurist, Humboldt Universität Berlin nennt den Vertrag von Lissabon eine Mogelpackung. Die Etiketten an den Flaschen wurden verändert, der Inhalt nicht. Ein Referendum sei erforderlich. Die britische Wirtschaftsvereinigung ”Open Europe” sieht den einzigen Unterschied gegenüber dem alten Vertrag in der Unleserlichkeit des neuen (FAZ 30.08.2007).

Bundesfinanzminister Steinbrück: ”Die allermeisten Bürger erkennen auch beim besten Willen nicht mehr, wer für Entschei- dungen in der EU verantwortlich ist und wie sie zustande kamen”. Sie erleben die EU als fernes, abstraktes und kompliziertes Gebilde (FAZ 04. 07. 2007).

In den Organen der EU sei man offenbar der Meinung, bei den Bürgern der Mitgliedstaaten handele es sich um unmündige Wesen, die zu ihrem Glück gezwungen werden müssen. Mit missiona- rischem Eifer und unter Mißachtung der Verhältnismäßigkeit würden Nichtraucherschutz, Minderung des Alkoholkonsums, Einschränkung der Vertragsfreiheit zur Durchsetzung von Gleichbehandlungs- grundsätzen, Antidiskriminierungsrichtlinen etc. entwickelt, vorangetrieben und schließlich eingeführt. Für die Zukunft seien weitere EU-Beglückungsmaßnahmen zu erwarten. Letzlich ginge es der EU darum, die Bürger zu erziehen, zu bevormunden, ihnen Entscheidungsfreiheit zu nehmen. Arroganz, Machtversessenheit, Selbstgerechtigkeit und Regulierungswut kämen auch in Äuße- rungen von EU-Parlamentariern zum Ausdruck. Von Beachtung des Subsidiaritätsprinzips könne keine Rede sein. Die EU sollte sich unter dessen strenger Wahrung auf wesentliche Grundelemente wie Gemeinsamer Markt, Währung, Zuwanderung beschränken und aus allen anderen Politikbereichen heraushalten (Quelle: Leserbrief Leo Schulz, Berlin, FAZ vom 22.11.2007).

Leserin Hilkem Pralle verweist auf die in Brüssel vorgelegte Studie des früheren Bundespräsidenten und Präsidenten des Bundesver- fassungsgerichts Roman Herzog, in der dieser ein besorgnis- erregendes Demokratiedefizit der institutionellen Strukturen der EU und die faktische Aufhebung der Gewaltenteilung konstatiert. Sie zitiert den früheren EU-Ratspräsidenten und Luxemburgischen Ministerpräsidenten Jean Claude Juncker wie folgt: ”Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten eine Zeit ab, ob was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei und keine Aufregung gibt, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter, Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.” Und: ”In der “Panorama''-Sendung der ARD vom 12. Mai 2005, am Tage der parlamentarischen Abstim- mung über den Text des damaligen Verfassungsentwurfs, wurden einigen Abgeordneten von den Mitarbeitern des Senders Fragen zu dem Text gestellt, über den sie unmittelbar danach abzustimmen hatten. Die Antworten dieser Damen und Herren belegten, dass sie sich kaum mit dem Entwurf beschäftigt hatten. Das veranlasste die Moderatorin Anja Reschke zu der abschließenden Feststellung: “Was sie da heute beschlossen haben, ist also nicht allen Abge- ordneten klar. Umso klarer war allerdings das Ergebnis: 569 stimmten für die Verfassung, die sie wohl kaum gelesen hatten . ." Glaubt irgendjemand, dass es bei anderen Gesetzesvorlagen anders ist, wenn die Einigkeit der Fraktion angestrebt wird? ”(Quelle FAZ, 29.03.2007, Leserbrief).

Roman Herzog sieht die parlamentarische  Demokratie in Deutschland ernsthaft bedroht. Als Ursachen nennt er “erhebliche Fehlentwicklungen in der Europäischen Union”. “Es stellt sich die Frage, ob man die Bundesrepublik Deutschland überhaupt noch uneingeschränkt als parlamentarische Demokratie bezeichnen kann”, heißt es in einem Beitrag, den Herzog als Kuratoriums- mitglied des Centrums für Europäische Politik (CEP) gemeinsam mit dem CEP-Direktor Lüder Gerken für die “Welt am Sonntag” vom 13. Januar 2007 geschrieben hat. Die Politik der Europäischen Union “leidet in besorgniserregender Weise unter einem Demokratie- defizit und einer faktischen Aufhebung der Gewaltenteilung”, schreiben Herzog und Gerken in der “Welt am Sontag”. Der Bundestag sei in die für Deutschland relevante EU-Gesetzgebung nicht so eingebunden, wie es das Grundgesetz für das deutsche Parlament verlange. Viele Bundestagsabgeordnete seien über diese Entwicklung ebenfalls beunruhigt, scheuten aber davor zurück, dies öffentlich zu äußern. Hinzu komme, dass die EU immer weitere Kompetenzen erlange, obwohl dies sachlich häufig nicht angebracht sei. Die heutigen politischen Strukturen, die “dieser schleichenden Zentralisierung” Einhalt gebieten sollen, hätten versagt. (Quelle: www.welt.de/politik/article708734 ).

In einem umfangreichen Interview hat Prof. Dr. Hans-Jürgen Papier, Präsident des Bundesverfassungsgerichts am 24. Juli 2007 in der FAZ zu Problemen der Umarbeitung des gescheiterten EU- Verfassungsvertrages und zum Fortgang des Europäischen Einigunsgprozesses Stellung genommen. Er präzisiert das viel genannte Subsidiaritätsprinzip dahingehend, dass die EU nur dann von ihren Kompetenzen Gebrauch machen darf, wenn die in Frage stehenden Ziele durch Maßnahmen der Mitgliedstaaten nicht mehr ausreichend und darüber hinaus durch Maßnahmen der EU besser verwirklicht werden könnten, vorausgesetzt, sie ist im Einzelfall zuständig. Nur dann stelle sich überhaupt die Frage nach der Subsidiarität als Kompetenzausübungsschranke. Das Subsidiari- tätsprinzip sei  geltendes EU-Recht, spiele aber leider in der Praxis kaum eine Rolle. Die Kontrolle seiner Einhaltung ist Sache der nationalen Parlamente. Die EU ist kein Staat und soll es auch nicht werden. Sie ist ein Staatenverbund, dessen Bestand und Kompe- tenzen sich  ausschließlich auf die Verträge der Mitgliedstaaten gründe. Nur innerhalb der ihr vertraglich zugewiesenen Zustän- digkeiten darf sie tätig werden. Es ließe  sich die nicht unproblematische Tendenz des Europäischen Gerichtshofs beob- achten, nationale Rechtsakte, auch soweit sie kein zwingendes Gemeinschaftsrecht umsetzen, an den von ihm entwickelten allgemeinen Rechtsgrundsätzen zu messen. Hier bestehe die Gefahr, dass vermittels der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs die Gemeinschaft Kompetenzen an sich ziehe, die ihr nach den Verträgen nicht zukommen. Der Europäische Gerichtshof  nehme für sich die vorbehaltlose Befugnis zur Letztentscheidung über die Auslegung und Anwendung des Gemeinschaftsrechts in Anspruch. Das Bundesverfassungsgericht behält sich jedoch vor, Rechtsakte der europäischen Einrichtungen und Organe, die sich nicht in den Grenzen der ihnen eingeräumten Hoheitsrechte halten, im deutschen Hoheitsbereich für unverbindlich zu erachten. Die deutschen Staatsorgane wären aus verfassungsrechtlichen Gründen dann gehindert, diese Rechtsakte in Deutschland anzuwenden.

Auf der Internetseite ”Europa in schlechter Verfassung” (Internetadresse: www.reformvertrag.de/?Zeitplan) finden sich folgende Ausführungen: Die Struktur einer bloßen Änderung der bestehenden EU-Verträge wurde bewußt gewählt, um Forderungen nach Referenden die Grundlage zu entziehen. Angesichts ....... der geringen inhaltlichen Unterschiede zum gescheiterten EU- Verfassungsvertrag wird schon jetzt in etlichen EU-Staaten die Abhaltung eines Referendums für die Ratifizierung des sog. Vertrags von Lissabon diskutiert und eingefordert. "Es ist daher keinesfalls davon auszugehen, dass der EU-Reformvertrag erfolgreich ratifiziert wird und rechtzeitig vor den Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni 2009 in Kraft treten kann.” (CAP Analyse Ausgabe 5, Juli 2007). Schwierigkeiten, die bei der Ratifizierung in den einzelnen EU-Staaten auftreten könnten, werden im Policy Brief July 2007 des European Policy Centre analysiert. Die kritische Analyse wird auführlich dargestellt. Die vorgebrachten Einzelheiten erscheinen sachlich und nachvollziehbar und spiegeln die verbreitete Skepsis der Bürger der Mitgliedstaaten wider. ---- Diese Internetseite wird vom MdEP Tobias Pflüger, Hechinger Str. 203, 72072 Tübingen, Tel: 07071-7956981 (E-Mail: tobias.pflueger [at] europarl.europa.eu) unterhalten. Pflüger gehört der Konföderalen Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke (GUE/NGL) des Europaparlaments an. (Anm. W.Klein: Die Seite ist ein klassisches Beispiel für marxistische Polittaktik und -strategie: Wenn die sogenannten  Großen Volksparteien Sorgen der Menschen ignorieren, nehmen die Linken sich dieser Sorgen an, und zwar auch dann, wenn sie weder geteilt werden noch ins eigene Konzept passen. So sammelt man Sympathien und damit Wählerstimmen !!).

Der Verfassungsvertrag lebt unter einem anderen Namen weiter. Es bleibt dabei, daß Gemeinschaftsrecht Vorrang vor nationalem Recht der Mitgliedstaaten hat. Der Letztentscheidungsvorbehalt des Bundesverfassungsgerichts ist Ausdruck der Skepsis gegenüber Rechtserzeugung und Rechtskontrolle durch  Organe der EU. Solange die Mitgliedstaaten Herren der EU-Verträge sind, muß es eine Möglichkeit der nationalen Letztkontrolle geben (Quelle: Buchbesprechung Vedder/von Heinegg: Europäischer Verfassungs- vertrag, FAZ vom 20.11.2007).

Der außenpolitische Sprecher der Konservativen Partei Großbritanniens, William Hague,  warf dem damaligen Premierminister Blair vor, er habe durch seine Zustimmung zur Brüsseler Vereinbarung (die zum Vertrag von Lissabon geführt hat; Anmerkung W. Klein) erhebliche Einschränkungen der britischen Souveränität vollzogen, ohne hierfür ein Mandat zu besitzen. Große Teile des alten Verfassungsvertragsentwurfs seien einfach in den neuen Vertragskompromiß umgepackt worden. Blair und sein Nachfolger Brown hätten mit der Weigerung, über den Vertrag von Lissabon ein Referendum abzuhalten, ein feierliches Wahlver- sprechen gebrochen (FAZ vom 25.06.2007).

Das ist wahrhaftig ein schäbiger Trick der Eurokraten: Weil ihr Projekt, die zentralen Instanzen der EU durch eine ”Verfassung" zu stärken, auf Widerstand stößt, beschließen sie, nicht ”die Substanz" dieses Vorhabens aufzugeben, sondern nur das Wort ”Verfassung" zu vermeiden, mit dem sie leichtsinnigerweise ihr Endziel eines europäischen Superstaats verraten (=zugegeben; Anmerkung W. Klein) haben”, so Leser Uwe Jakomeit, Witten in der FAZ vom 03.07.2007. Jetzt hofften sie, mit einer harmlos klingenden Bezeichnung das Vorhaben doch verwirklichen zu können und  unauffällig, scheibchenweise die Kompetenzen der EU zu erweitern. Die wirklich demokratische Alternative sei anderer  Art, nämlich der freiwillige Zweckverband, durch den bestimmte, gemeinschaftlich besser zu bewältigende Aufgaben erledigt wer- den, ohne daß die Selbständigkeit der Mitgliedsstaaten eingeschränkt würde. Zu der Willensbildung über die neue Version der EU-Verfassung (gemeint ist der Vertrag von Lissabon; Anmerkung W. Klein) hat der Präsident des EU-Parlaments, Pöttering gesagt: ”Kein Land, sei es groß, mittelgroß oder klein, darf einem anderem Land seinen Willen aufzwingen" (F.A.Z. vom 13. Juni 2007). Das muss generell für die Willensbildung in der EU gelten. Es sollten nicht einige EU-Staaten den anderen durch Mehrheitsentscheidung etwas aufzwingen können, die Willensbildung sollte einvernehmlich durch die Vertreter der demokratisch legitimierten Regierungen geschehen, die ”durch die Legitimationskette mit dem Volk als dem Ursprung der nationalen Staatsgewalt verbunden sind" (so Professor Dr. Josef Isensee, ”Zweckverband oder Wertegemeinschaft", F.A.Z. vom 15. Januar 2007). Eine solche Legitimierung fehlt dem EU-Parlament, der undemokratisch, weil nicht aufgrund  ”demokratischer Egalität der Unionsbürger" (Isensee) gewählten  ”Volksvertretung" eines nicht existierenden europäischen Volkes (Leserbrief Uwe Jakomeit, Witten in der FAZ vom 03.07.2007.)

Aus der Presseerklärung des Bundestagsabgeordneten Dr. Peter Gauweiler (CSU) vom 24. April 2008: ”Diese neue Europäische Union des Vertrages von Lissabon beansprucht, über das bisherige EU-Recht hinaus, dass ihr Recht – nicht nur ihr im Vertrag von Lissabon formuliertes faktisches “Verfassungsrecht”, sondern auch jede Richtlinie und Verordnung – Vorrang vor dem Recht der Mitgliedsstaaten, einschließlich deren Verfassungsrecht, hat. Damit ist für die Deutschen der letztverbindliche Schutz des Grundgesetzes und der Schutz der Länderverfassungen durch die deutsche Exekutive und die deutsche Gerichtsbarkeit zur Disposition gestellt beziehungsweise beseitigt. Die vorbehaltlose Zustimmung zu diesem Vertrag entmachtet nicht nur die gewählte Volksvertretung, sondern auch das Bundesverfassungsgericht und überträgt die Kompetenz zur verbindlichen Entscheidung aller das Verhältnis zwischen Europäischer Union und Mitgliedsstaaten betreffenden Kompetenzfragen dem Gerichtshof der Europäischen Union. Die letztentscheidende “Kompetenz-Kompetenz” – insbe- sondere für den Schutz der Grundrechte - liegt daher künftig nicht mehr in Karlsruhe, sondern in Luxemburg. Deshalb kann auch das im Lissabonvertrag beschriebene “Subsidiaritätsprinzip” die Kompetenzfülle der Europäischen Union nicht wirksam begrenzen; auch über die Tragweite dieses “Subsidiaritätsprinzips” entscheidet der ausschließlich den EU-Vertragszielen verpflichtete EU- Gerichtshof und nicht mehr das Bundesverfassungsgericht. Selbst das Verhältnis des EU-Gerichtshofes zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg, bei dem Bundesbürger nach jahrelanger Verfahrensdauer noch Schutz vor Willkürakten europäischer Institutionen erstreiten könnten, ist völlig ungeklärt. Mit der vorbehaltlosen Zustimmung zum Vertrag von Lissabon überschreitet der Bundestag die Grenzen der Integrations- ermächtigung, die Art. 23 Abs. 1 GG formuliert und verstößt zugleich gegen unabänderliche Verfassungsprinzipien im Sinne von Art. 79 Abs. 3 GG. Zu den unabänderlichen Verfassungsprinzipien gehört nämlich die souveräne Staatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland. Diese wird aufgegeben, wenn – wie dies im Vertrag von Lissabon geschieht – die Kompetenz-Kompetenz für die letztverbindliche Entscheidung über den Umfang der Kompetenzen auf eine übernationale Instanz übertragen wird. Eine solche Entscheidung könnte nur das Volk kraft seiner verfassunggebenden Gewalt – durch Volksabstimmung – treffen, nicht aber der verfassungsgebundene Gesetzgeber. Zu den unabänderlichen Verfassungsprinzipien der Bundesrepublik Deutschland und der deutschen Länder gehört das Demokratieprinzip: Alle Staatsgewalt muss vom Volke ausgehen. Auch dieses Prinzip wird durch den Vertrag von Lissabon verletzt. Das Bundesverfassungsgericht hatte im Maastricht-Urteil entschieden, dass im europäischen Staaten- verbund nur dann eine hinreichende demokratische Legitimation gegeben sei, wenn diese maßgeblich von den Völkern der Mitgliedsstaaten ausgehe und wenn auf der Ebene der Mitgliedstaaten den Parlamenten Entscheidungsbefugnisse von hinreichendem substantiellem Gewicht verblieben. Beides ist nach dem Vertrag von Lissabon nicht mehr der Fall: Die Entscheidungs- befugnisse der nationalen Parlamente werden ausgehöhlt, und die auf europäischer Ebene getroffenen Entscheidungen können nicht mehr hinreichend von den Völkern der Mitgliedsstaaten – über deren Regierungsvertreter im Rat – legitimiert werden, weil es auf deren Stimme nach dem Abschied vom Konsensprinzip zugunsten von Mehrheitsentscheidungen nicht mehr ankommt. Durch die Entleerung der Hoheitsgewalt der Bundesrepublik Deutschland wird vor allem auch das Grundrecht jedes Bürgers aus Art. 38 GG verletzt, durch seine Teilnahme an der Bundestagswahl an der demokratischen Legitimation der regierenden Hoheitsgewalt mitzuwirken und die Träger dieser Hoheitsgewalt nicht nur wählen, sondern auch abwählen zu können.” Dr. Gauweiler hat in seiner Presseerklärung auch angekündigt, er werde gegen den Vertrag von Lissabon und die zugehörigen Begleitgesetze stimmen. Nach allem ist davon auszugehen, daß er, wie wahrscheinlich andere auch, nach einer Annahme durch Bundestag und Bundesrat erneut das Bundesverfassungsgericht anrufen wird (Quelle: http://www.peter-gauweiler.de/pdf/PresseerklaerungVertragvonLissabon.pdf ).

”Der Schwindel ist beinahe “perfekt"! Unter dieser Überschrift veröffentlichen die Vertraulichen Mitteilungen aus Politik und Wirtschaft vom 10.07.2007 eine harsche Kritik: Es gäbe zwar keine neue EU-Verfassung, aber das nun “Vertrag" genannte Werk enthielte beinahe alles, was auch in der alten “Verfassung" stand: Es wird ein “EU-Staatsoberhaupt" geben und auch einen “EU- Außenminister" (der sich nun allerdings “Hoher Repräsentant für Außen- und Sicherheitspolitik" nennen darf) - es sind teilweise neue Namen für auch vorher vorgesehene Posten,  mit unverän- derten Kompetenzen. Selbst die kindisch anmutenden Querelen der polnischen Vertreter spielten in diesem Zusammenhang eine “nützliche" Rolle. Der dadurch ausgelöste Medienrummel setzte die Teilnehmer des EU-Gipfeltreffens in die Lage, die negativen Volksentscheide Frankreichs und der Niederlande zur EU-Verfassung beinahe unbemerkt zu kassieren . . .!

Um die EU-Bürger nicht mit der Nase auf die Tatsache zu stoßen, daß sich de facto kaum etwas geändert hat, würden aus dem nun vereinbarten “EU-Vertrag" ganz einfach die deutlichsten Hinweise auf den geplanten “Superstaat" entfernt (z.B. Flagge, Hymne und andere “verfängliche" Begriffe). Die Idee, eines Tages die “Vereinigten Staaten von Europa" zu schaffen, mag bestechend sein - doch sie sollte niemals gegen den Willen der betroffenen Menschen durchgepeitscht werden. Genau das scheine aber das Ansinnen der in den letzten sechs Monaten von Angela Merket “präsidierten" europäischen Regierungschefs zu sein - was nicht gerade von einem ausgeprägten Demokratiebewußtsein zeuge . . .

Ihr blaues Wunder erleben könnte manche europäische Nation auch noch aufgrund der Tatsache, daß die Entscheidungen des EU- Ministerrates demnächst nicht mehr einstimmig, sondern nur noch mit einer (wie auch immer) “qualifizierten" Mehrheit erfolgen müssen. Den einzelnen europäischen Bürgern würde es dann unmöglich sein, “ihre" Regierung für einzelne Entscheidungen verantwortlich zu machen und in die Pflicht zu nehmen. Wie dies von einer nationalen Regierung mißbraucht werden könnte, machte der frühere Bundespräsident Roman Herzog bereits an einem Beispiel deutlich: Wenn z.B. ein Umweltminister im Kreise "seiner" nationalen Regierung oder “seines" Parlamentes für ein bestimmtes Vorhaben keine Mehrheit erreichen sollte, könnte er sich mit dem gleichen Anliegen “nach Brüssel" wenden. Kommt es dann im Ministerrat zu einer entsprechenden Mehrheit, müßte das nationale Parlament genau das bisher abgelehnte Vorhaben des Umwelt- ministers in nationales Recht umsetzten . . .

Die Legitimationskette zwischen Wählern und Gewählten ist unverzichtbarer Bestandteil einer jeden nach parlamentarisch- demokratischen Regeln funktionierenden Einrichtung gleich welcher Art und auf welcher politischen Ebene. Beispiel: Die Personal- vertretung (Personalrat)   einer Dienststelle des Landes Berlin. Sie setzt sich aus Beamten, Angestellten und Lohnempfängern zusammen, die von der jeweiligen Beschäftigtengruppe gewählt werden. Bei der Beschlußfassung in der beteiligungspflichtigen Personalangelegenheit eines Beamten stimmen nach dem Personal- vertretungsgesetz nur die Beamten im Personalrat ab. Entsprechendes gilt für die Beschlußfassung in Personal- angelegenheiten von Angestellten oder Lohnempfängern. Auf diese Weise ist die Legitimationskette zwischen Wählern und Gewählten eindeutig und zuverlässig gewahrt. Genau das ist im Rahmen der EU schon jetzt nicht gewährleistet. Zum Beispiel fehlt nicht aus Deutschland stammenden Abgeordneten des Europaparlaments die Legitimationskette zum Deutschen Wähler. Gleiches gilt für alle übrigen Mitgliedsstaaten in der jeweils entsprechenden Konstel- lation. Gleiches gilt auch für die Regierungen der der Gemeinschaft angehörenden Staaten. Das ist ein entschiedener Mangel und zugleich das schwerstwiegende Problem der EU.

Der Nationalstaat hat sich noch immer als die zuverlässigste Form kultureller Wertegemeinschaften erwiesen. Hingegen war die Mißachtung ethnischer Eigenheiten und der aus ihnen erwachsenden Anliegen stets Ursache von Unfrieden, Unrecht, Verfolgung und schließlich Krieg. Europas Stärke liegt in der kulturellen Vielfalt seiner Nationalstaaten und der sie verbinden- den, allen gemeinsamen  Schnittmenge abendländischer Kultur.

Die Formel von den Deutschen als dem Volk der Dichter und Denker geht auf Germaine de Staëls zurück, deren Buch ”De l'Allemagne” 1810 auf Befehl Napoleons eingestampft werden mußte (andere schreiben sie - in ähnlichem Zusammenhang 1782 entstanden - dem deutschen Gymnasiallehrer und Schriftsteller Karl August Musäus zu ( u.a. http://www.springerlink.com/content/lxx54336uw085510/, Büchmann: Geflügelte Worte)): Madame de Staels schrieb ihr Buch unter dem Eindruck einer gewaltigen Kulturbewegung in Deutschland, die  in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eingesetzt hatte. In den Jahrzehnten nach 1770 sprossen Genies in solcher Fülle hervor: Dichter, Denker, Komponisten, wie es in der Kulturgeschichte in einem so engen Zeitraum einzigartig ist. Damit war,  kulminierend in der Epochengestalt Goethe, etwas herangewachsen, das zwei Jahrhunderte hindurch Vorbildfunktion für die gebildete Welt haben sollte und - außer in Deutschland - in weiten Teilen der Welt noch immer  hat ( Quelle u.a.:  http://www.freieberufe-bayern.de/service/oav10/artikel.asp?lnr=632 , und http://www.arne-eppers.de/festschrift.htm ).

Ich bin etliche Jahre vor Beginn des Zweiten Weltkrieges im noch nicht zerstörten Deutschland geboren und nach dessen Ende in Deutschland geblieben, weil ich hier, und zwar als Deutscher, in dem Kulturkreis meines Heimatlandes, leben wollte und will, gewissermaßen in der abendländischer Kultur deutschen Lesart. Die Multikulti-Euphorikerin Claudia Roth ließ sich 2005  in Kreuzberg fotografieren, erst mit einem Koran in der Hand und dann fröhlich mit dem Spruch: “Hier gefällt es mir besser als in weiten Teilen Bayerns.” ( Quelle: Focus Nr. 14/2006 http://www.focus.de/magazin/ tagebuch/tagebuch-chaos-schule-war-beruechtigt_aid_214688.html ). Das ist natürlich ihr gutes Recht. Ich nehme für mich in Anspruch, das genaue Gegenteil empfinden zu dürfen, mit dem Unterschied, daß von mir keine politischen Aktivitäten ausgehen, anderen meine Auffassungen aufzuoktroyieren. In gleicher Weise lehne ich ab, daß es möglich gemacht wird, von außen, etwa durch Organe der EU in die deutsche Leitkultur einzugreifen, wobei Leitkultur im weitesten Sinn des Wortes unter Einschluß aller für das innerstaatliche Zusammenleben wesentlichen Werte, insbesondere auch des deutschen Staats- , Verfassungs-, Straf- und Zivilrechts gemeint ist. Hierzu gehört auch die Ablehnung und Abwehr der überbordenden EU- Bürokratie einschließlich der durch diese verursachten Kosten.

Nachdem der Deutsche Bundestag am 24. April 2008 dem Vertrag von Lissabon und den zugehörigen Begleitgesetzen zugestimmt  hat, der Bundesrat mit großer Wahrscheinlichkeit ebenfalls zustimmen wird und eine Ablehnung per Referendum durch die Iren nicht wahrscheinlich ist, bleibt zu hoffen, daß das Bundesverfassungs- gericht einer nach meiner Auffassung fatalen Entwicklung einen Riegel vorschieben wird.

W. K.    April 2008

 

Teil 3: Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Juni 2009 zum Lissabon-Vertrag

Der Vertrag von Lissabon (ursprünglich auch EU-Grundlagenvertrag   bzw. EU-Reformvertrag genannt) ist ein völkerrechtlicher Vertrag zwischen den 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Er reformierte den "Vertrag über die Europäische Union" (EU-Vertrag, EUV) und den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG-Vertrag). Der letztgenannte wurde außerdem in "Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)" umbenannt. Der Lissabonvetrag übernahm wesentliche Inhalte des EU-Verfassungsvertrages, der 2005 in Referenden in Frankreich und den Niederlanden abgelehnt worden war. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 30. Juni 2009 (2 BvE 2/08) festgestellt, dass das Gesetz über die Ausweitung und Stärkung der Rechte des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union (eines der Begleitgesetze zur Ratifizierung des Lissabonvertrags durch die Bundesrepublik Deutschland) in seiner ersten Fassung (Bundestagsdrucksache 16/8489) gegen Artikel 38 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 23 Absatz 1 des Grundgesetzes (GG) verstößt, weil es die Beteiligungsrechte und -pflichten des Bundestages und des Bundesrates am europäischen Integrationsprozess nicht hinreichend ausgestaltet hat. Dies gilt insbesondere für die nach dem Vertrag von Lissabon vorgesehenen Verfahren zur Vertragsänderung sowie für die Verfahren zur Änderung der Einzelheiten des Gesetzgebungsverfahrens der Europäischen Union. Neben der Bundesregierung müssen die Gesetzgebungsorgane Bundestag und Bundesrat ihre besondere Integrationsverantwortung wahrnehmen, die den verfassungsrechtlichen Anforderungen insbesondere des Artikels 23 Absatz 1 GG genügen muss. (Anm. d. Verf.: Integration meint hier nicht die von Migranten !!)

 

Dem Urteil BVerfG, 2 BvE 2/08 vom 30.6.2009, Absatz-Nr. (1 - 421),

Volltext unter: http://www.bverfg.de/entscheidungen/es20090630_2bve000208.html ,

sind 4 Leitsätze vorangestellt. Der Wortlaut der Leitsätze 1 und 3 findet sich am Schluß dieses Artikels.

Das Urteil ist, wie aus der Zahl der Absätze ersichtlich, überaus umfangreich und, durch die Zusammenfassung der von insgesamt 6 Antragstellern bzw. Gruppen von Antragstellern ausgelösten Verfahren zu einem Verfahren, mindestens für den juristischen Laien unübersichtlich. Deshalb der nachfolgende Versuch einer durch den Aufbau des Urteils führenden Gliederung:

Der erste Abschnitt trägt die Bezeichnungen I bis VI und ist die Auflistung der Antragsteller und der jeweiligen Bevollmächtigten.

Aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 10. und 11. Februar 2009 (wird) durch

 

Urteil

für Recht erkannt:

  1. Die Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
  2. Der Antrag im Organstreitverfahren des Antragstellers zu I. wird verworfen.
  3. Der Antrag im Organstreitverfahren der Antragstellerin zu II. wird zurückgewiesen.
  4. a) Das Gesetz über die Ausweitung und Stärkung der Rechte des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union (Bundestagsdrucksache 16/8489) verstößt insoweit gegen Artikel 38 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 23 Absatz 1 des Grundgesetzes, als Beteiligungsrechte des Deutschen Bundestages und des Bundesrates nicht in dem nach Maßgabe der unter C. II. 3. genannten Gründe erforderlichen Umfang ausgestaltet worden sind.
    b) Vor Inkrafttreten der von Verfassungs wegen erforderlichen gesetzlichen Ausgestaltung der Beteiligungsrechte darf die
    Ratifikationsurkunde der Bundesrepublik Deutschland zum Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vom 13. Dezember 2007 (Bundesgesetzblatt 2008 II Seite 1039) nicht hinterlegt werden.
  5. Im Übrigen werden die Verfassungsbeschwerden zurückgewiesen.
  6. Die Bundesrepublik Deutschland hat die notwendigen Auslagen dieser Verfahren dem Beschwerdeführer zu III. zur Hälfte, den Beschwerdeführern zu IV. und VI. jeweils zu einem Viertel sowie den Beschwerdeführern zu V. und der Antragstellerin zu II. jeweils zu einem Drittel zu erstatten.

 

 Gründe:

A

"Gegenstand der zu gemeinsamer Entscheidung verbundenen Organstreitverfahren und Verfassungsbeschwerden ist die Ratifikation des Vertrags von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vom 13. Dezember 2007 (ABl Nr. C 306/1). Die Verfahren betreffen das deutsche Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Lissabon und - teilweise - die deutschen Begleitgesetze: Das bereits verkündete, aber noch nicht in Kraft getretene Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 23, 45 und 93) sowie das Gesetz über die Ausweitung und Stärkung der Rechte des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union, das zustandegekommen, aber noch nicht ausgefertigt und verkündet ist." (Absatz 1)

I

Dieser Abschnitt enthält die Darstellung der Entwicklung der EU und die jetzt durch den Vertrag von Lissabon eigentretene Rechts- bzw. Vertragslage. Er erstreckt sich über die durch Randziffern gekennzeichneten Absätze 2 bis 98.

II

Dieser Abschnitt enthält nach Antragstellern gegliedert deren Vorbringen und die zugehörigen Begründungen. Er erstreckt sich über die durch Randziffern gekennzeichneten Absätze 99 bis 135.

III

Dieser Abschnitt enthält das Vorbringen und die Begründungen der Antragsgegner. Diese sind der Deutsche Bundestag, der Bundesrat, die Bundesregierung und der Landtag von Baden-Württemberg. Er erstreckt sich über die durch Randziffern gekennzeichneten Absätze 136 bis 165.

IV

"Das Bundesverfassungsgericht hat am 10. und 11. Februar 2009 eine mündliche Verhandlung durchgeführt, in der die Beteiligten ihre Rechtsstandpunkte erläutert und vertieft haben." Dieser Abschnitt trägt die Randziffer 166.

B

"Die gegen das Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Lissabon erhobenen Verfassungsbeschwerden sind zulässig, soweit mit ihnen auf der Grundlage von Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG eine Verletzung des Demokratieprinzips, ein Verlust der Staatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland und eine Verletzung des Sozialstaatsprinzips gerügt wird. Die gegen die Begleitgesetzgebung erhobenen Verfassungsbeschwerden zu III. und VI. sind zulässig, soweit sie sich auf Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG stützen (I.). Der Antrag im Organstreitverfahren zu II. ist zulässig, soweit die Antragstellerin eine Verletzung der Entscheidungsbefugnisse des Deutschen Bundestages über den Einsatz der deutschen Streitkräfte geltend macht . Im Übrigen sind die Verfassungsbeschwerden und die in den Organstreitverfahren gestellten Anträge unzulässig." Dieser Absatz ist durch die Randziffer 167 gekennzeichnet.

I

Dieser Abschnitt enthält die Prüfung der Beschwerdefähigkeit und Beschwerdebefugnis der einzelnen Antragsteller gegliedert nach den jeweils vorgebrachten Rechtsgründen für ihre Beschwerde. Er erstreckt sich über die durch die Randziffern 168 bis 193 gekennzeichneten Absätze.

II

Dieser Abschnitt enthält Prüfung Beschwerdefähigkeit und Beschwerdebefugnis offenbar problematischer Anträge und Begründungen einzelner Antragsteller mit offensichtlich unterschiedlichem Ergebnis hinsichtlich der Zulässigkeit. Er erstreckt sich über die durch die Randziffern 194 bis 206 gekennzeichneten Absätze.

 

C

I

Dieser Abschnitt legt die verfassungsrechtlichen Erwägungen des Gerichts zu den Details der Anträge der sechs Antragsteller dar. Dabei kommt es bereits zu einzelnen Feststellungen bezüglich Vereinbarkeit und Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz. Er erstreckt sich über die mit den Randziffern 207 bis 272 gekennzeichneten Absätze.

II

Dieser Abschnitt enthält die Bewertung einer großen Anzahl von Einzelbestimmungen des Lissabonvertrages hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit bzw. Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Er erstreckt sich über die mit den Randziffern 273 bis 419 gekennzeichneten Absätze.

 

D

Mit Rücksicht darauf, dass das Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Lissabon nur nach Maßgabe der Gründe dieser Entscheidung mit dem Grundgesetz vereinbar und die Begleitgesetzgebung teilweise verfassungswidrig ist, sind den Beschwerdeführern und Antragstellern nach § 34a Abs. 2 und Abs. 3 BVerfGG die notwendigen Auslagen anteilig nach ihrem Erfolg zu erstatten. Danach sind die notwendigen Auslagen dem Beschwerdeführer zu III. zur Hälfte, den Beschwerdeführern zu IV. und VI. jeweils zu einem Viertel sowie den Beschwerdeführern zu V. und der Antragstellerin zu II. jeweils zu einem Drittel zu erstatten. (Absatz 420)

 

E

Diese Entscheidung ist im Ergebnis einstimmig, hinsichtlich der Gründe mit 7:1 Stimmen ergangen. (Absatz 421)

Voßkuhle

Broß

Osterloh

Di Fabio

Mellinghoff

Lübbe-Wolff

Gerhardt

 

Landau

 

 

 

 

 

 

 

Urteilsinhalt

Absatz 273: "Der Vertrag von Lissabon und das Zustimmungsgesetz genügen - nach Maßgabe der Gründe - den aufgezeigten verfassungs-rechtlichen Anforderungen. Das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 23, 45 und 93) ist verfassungsrechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden. Das Gesetz über die Ausweitung und Stärkung der Rechte des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union entspricht nicht den Anforderungen aus Art. 38 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 23 Abs. 1 GG und muss vor Ratifizierung des Vertrags in verfassungsgemäßer Weise neu gefasst werden ."  --  Es ist also nicht der Lissabonvertrag selbst, der den Anforderungen des Grundgestzes der Bundesrepublik Deutschland nicht genügt, sondern eines der deutschen Begleitgesetze. Bundestag und Bundesrat haben demnach ein verfassungswidriges Gesetz verabschiedet !

Für die Bedeutung und Beurteilung des Urteils sind wesentlich die Darlegungen des Bundesverfassungsgerichts im Abschnitt C II. Es soll nun versucht werden einige beispielhafte und besonders bedeutungsvolle Absätze aus diesem Abschnitt des Urteils zusammenzustellen.

......"Mit dem Vertrag von Lissabon wird weder die für die Verfassungsorgane unverfügbare verfassungsgebende Gewalt übertragen noch die staatliche Souveränität der Bundesrepublik Deutschland aufgegeben"...... (Absatz 275).

Absatz 276: " Die Europäische Union erreicht beim gegenwärtigen Integrationsstand auch bei Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon noch keine Ausgestaltung, die dem Legitimationsniveau einer staatlich verfassten Demokratie entspricht."

.......... "Gemessen an verfassungsstaatlichen Erfordernissen fehlt es der Europäischen Union auch nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon an einem durch gleiche Wahl aller Unionsbürger zustande gekommenen politischen Entscheidungsorgan mit der Fähigkeit zur einheitlichen Repräsentation des Volkswillens. ....... Das Europäische Parlament ist auch nach der Neuformulierung in Art. 14 Abs. 2 EUV-Lissabon und entgegen dem Anspruch, den Art. 10 Abs. 1 EUV-Lissabon nach seinem Wortlaut zu erheben scheint, kein Repräsentationsorgan eines souveränen europäischen Volkes. ......." (Absatz 280).

"Auch in der Ausgestaltung des Vertrags von Lissabon erwächst aus den Zuständigkeiten der Europäischen Union keine eigenständige Volkssouveränität der Gesamtheit der Unionsbürger. Bei knapper Entscheidung zwischen politischen Richtungen im Europäischen Parlament besteht keine Gewähr dafür, dass die Mehrheit der abgegebenen Stimmen auch eine Mehrheit der Unionsbürger repräsentiert. .........."  Absatz 281)

“ ...............beträgt die Höchstzahl der Abgeordneten 750 (zuzüglich des Präsidenten); kein Mitgliedstaat erhält mehr als 96 Sitze und keiner weniger als sechs Sitze (Art. 14 Abs. 2 UAbs. 1 Satz 2 bis Satz 4 EUV-Lissabon). Das führt dazu, dass das Gewicht der Stimme des Staatsangehörigen eines bevölkerungsschwachen Mitgliedstaates etwa das Zwölffache des Gewichts der Stimme des Staatsangehörigen eines bevölkerungsstarken Mitgliedstaates betragen kann." (Absatz 284).

Absatz 289: Das - gemessen an staatlichen Demokratieanforderungen - bestehende Defizit der europäischen Hoheitsgewalt kann durch andere Regelungen des Vertrags von Lissabon nicht aufgewogen und insoweit nicht gerechtfertigt werden."

" Die Europäische Kommission ist bereits auf der Grundlage des geltenden Rechts in die Funktion einer - mit Rat und Europäischem Rat geteilten - europäischen Regierung hineingewachsen. Es ist nicht ersichtlich, wie dieser Prozess der politischen Verselbständigung noch weiter gefördert werden könnte ohne die unmittelbare Rückbindung an eine gleichheitsgerechte Wahl durch den Demos, die die Abwahlmöglichkeit einschließt und dadurch politisch wirksam wird.  . ......... Für den Rechtszustand nach dem Vertrag von Lissabon bestätigt diese Erwägung, dass das Handeln der Europäischen Union ohne demokratische Rückbindung in den Mitgliedstaaten einer hinreichenden Legitimationsgrundlage entbehrt." (Absatz 297)

Absatz 298: "Als supranationale Organisation muss die Europäische Union in ihrer Kompetenzausstattung und Kompetenzausübung unverändert dem Prinzip der begrenzten und kontrolliert ausgeübten Einzelermächtigung genügen. Gerade nach dem Scheitern des europäischen Verfassungsprojekts ist mit dem Vertrag von Lissabon hinreichend deutlich geworden, dass dieses Verbundprinzip weiter gilt. Die Mitgliedstaaten bleiben die Herren der Verträge. Trotz einer weiteren Kompetenzausdehnung bleibt es bei dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung. Die Vertragsbestimmungen lassen sich so auslegen, dass sowohl die verfassungsrechtliche und politische Identität der volldemokratisch organisierten Mitgliedstaaten gewahrt bleibt als auch ihre Verantwortung für die grundlegende Richtung und Ausgestaltung der Unionspolitik. Die Bundesrepublik Deutschland bleibt auch nach einem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon ein souveräner Staat und damit Rechtssubjekt des Völkerrechts. Die deutsche Staatsgewalt einschließlich der verfassungsgebenden Gewalt ist in ihrer Substanz geschützt (aa), das deutsche Staatsgebiet bleibt allein der Bundesrepublik Deutschland als Rechtssubjekt zugewiesen (bb), am Fortbestand des deutschen Staatsvolks bestehen keine Zweifel (cc)."

Absatz 299: "Die souveräne Staatsgewalt bleibt nach den Regeln über die Zuständigkeitsverteilung und -abgrenzung gewahrt (1). Die neuen primärrechtlichen Regelungen über Vertragsänderungen stehen dem nicht entgegen (2). Der Fortbestand souveräner Staatsgewalt zeigt sich auch in dem Recht zum Austritt aus der Europäischen Union (3) und wird durch das dem Bundesverfassungsgericht zustehende Letztentscheidungsrecht (4) geschützt."

" Die Verteilung und Abgrenzung der Zuständigkeiten der Europäischen Union von denen der Mitgliedstaaten erfolgt nach dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung.  .........".( Absatz 300).

"Das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung ist ein Schutzmechanismus zur Erhaltung mitgliedstaatlicher Verantwortung. Die Europäische Union ist nur insoweit für einen Sachverhalt zuständig, wie sie diese Zuständigkeit von den Mitgliedstaaten übertragen bekommen hat.  ............. die Europäische Union trägt sekundäre, das heißt delegierte Verantwortung für die ihr übertragenen Aufgaben. Der Vertrag von Lissabon bestätigt das bereits geltende Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung ausdrücklich: “Die Union wird nur innerhalb der Grenzen der Zuständigkeiten tätig, die die Mitgliedstaaten ihr in den Verträgen zur Verwirklichung der darin niedergelegten Ziele übertragen haben”. (Absatz 301).

"Ein formal ansetzender Schutzmechanismus ist die erstmalig vorgenommene Kategorisierung und Klassifizierung der Zuständigkeiten der Europäischen Union in ausschließliche und geteilte Zuständigkeiten sowie Zuständigkeiten für Unterstützungs-, Koordinierungs- oder Ergänzungsmaßnahmen ....................."    (Absatz 302).

"Darüber hinaus sollen materiell-rechtliche Schutzmechanismen, insbesondere Zuständigkeits-ausübungsregeln, gewährleisten, dass die auf europäischer Ebene bestehenden Einzelermächtigungen in einer die mitgliedstaatlichen Zuständigkeiten schonenden Weise wahrgenommen werden. Zu den Zuständigkeitsausübungsregeln zählen das Gebot, die nationale Identität der Mitgliedstaaten zu achten, der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit, der Grundsatz der Subsidiarität  und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit." (Absatz 304).

Absatz 307: "Das ordentliche Änderungsverfahren für die vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union (Art. 48 Abs. 2 bis Abs. 5 EUV-Lissabon) entspricht dem klassischen Änderungsverfahren vergleichbarer multilateraler Vertragswerke. Eine Konferenz der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten, die vom Präsidenten des Rates einberufen wird, ist zuständig, Vertragsänderungen zu vereinbaren. Diese Änderungen treten aber nur in Kraft, nachdem sie von allen Mitgliedstaaten - nach Maßgabe ihrer verfassungsrechtlichen Vorgaben - ratifiziert worden sind (Art. 48 Abs. 4 UAbs. 2 EUV-Lissabon). Der Vertrag von Lissabon stellt klar, dass solche Vertragsänderungen eine Ausdehnung oder eine Verringerung der in den Verträgen übertragenen Zuständigkeiten der Europäischen Union zum Ziel haben können."

"Der Vertrag von Lissabon führt zusätzlich ein vereinfachtes Vertragsänderungsverfahren ein.   ............  sieht das vereinfachte Änderungsverfahren lediglich einen Beschluss des Europäischen Rates vor, der nach Zustimmung aller Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften” in Kraft tritt " Ausdrücklich wird klargestellt, dass der Beschluss des Europäischen Rates nicht zu einer Ausdehnung der der Union im Rahmen der Verträge übertragenen Zuständigkeiten führen darf . .............." (Absatz 309).

"Auch die “Zustimmung” der Bundesrepublik Deutschland im vereinfachten Änderungsverfahren ..... setzt stets ein Gesetz im Sinne des Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG als lex specialis zu Art. 59 Abs. 2 GG voraus".  (Absatz 312).

Insgesamt beinhalten die Darlegungen des Bundesverfassungs-  gerichts die Forderung, die Bundesregierung, der Deutsche Bundestag und gegebenenfalls auch/oder der Bundesrat müssen in Angelegenheiten der Europäischen Union ihre besondere Integrationsverantwortung (Anm. d. Verf.: Integration meint hier nicht die von Migranten !!) wahrnehmen und unter Beachtung der Vorgaben des Grundgesetzes zustimmen oder ablehnen. Dazu war bei der Neufassung des beanstandeten Gesetzes über die Ausweitung und Stärkung der Rechte des Bundestages und des Bundesrates eine Fülle einzelner Maßnahmen auszuformulieren, bei denen das beschlußfassende Tätigwerden der deutschen Verfassungsorgane zwingend vorgeschrieben ist. Sie beziehen sich auf die entsprechenden Artikel von EUV und AEUV. Der Text, auf den das neugefaßte Gesetz im Einzelfall Bezug nimmt, ist durch rote Schrift hervorgehoben. Es handelt sich

aus dem Vertrag über die Europäische Union (EUV) um:

Artikel 31 Absatz 3: Der Europäische Rat kann einstimmig einen Beschluss erlassen, in dem vorgesehen ist, dass der Rat in anderen als den in Absatz 2 genannten Fällen mit qualifizierter Mehrheit beschließt.

Artikel 42 Absatz 2 Unterabsatz 1: Die Gemeinsame Sicherheits-und Verteidigungs- politik umfasst die schrittweise Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik der Union. Diese führt zu einer gemeinsamen Verteidigung, sobald der Europäische Rat dies einstimmig beschlossen hat. Er empfiehlt in diesem Fall den Mitgliedstaaten, einen Beschluss in diesem Sinne im Einklang mit ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften zu erlassen.

Artikel 48 Absatz 6 (Betrifft: Vereinfachte Änderungsverfahren) Unterabsatz 2: Der Europäische Rat kann einen Beschluss zur Änderung aller oder eines Teils der Bestimmungen des Dritten Teils des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union erlassen. Der Europäische Rat beschließt einstimmig nach Anhörung des Europäischen Parlaments und der Kommission sowie, bei institutionellen Änderungen im Währungsbereich, der Europäischen Zentralbank. Dieser Beschlusstritt erst nach Zustimmung der Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren jeweiligen verfassungs- rechtlichen Vorschriften in Kraft.

Unterabsatz 3: Der Beschluss nach Unterabsatz 2 darf nicht zu einer Ausdehnung der der Union im Rahmen der Verträge übertragenen Zuständigkeiten führen.

Artikel 48 Absatz 7: In Fällen, in denen der Rat nach Maßgabe des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union oder des Titels V dieses Vertrags in einem Bereich oder in einem bestimmten Fall einstimmig beschließt, kann der Europäische Rat einen Beschluss erlassen, wonach der Rat in diesem Bereich oder in diesem Fall mit qualifizierter Mehrheit beschließen kann. Dieser Unterabsatz gilt nicht für Beschlüsse mit militärischen oder verteidigungspolitischen Bezügen.

In Fällen, in denen nach Maßgabe des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union Gesetzgebungsakte vom Rat gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren erlassen werden müssen, kann der Europäische Rat einen Beschluss erlassen, wonach die Gesetzgebungsakte gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren erlassen werden können.

Jede vom Europäischen Rat auf der Grundlage von Unterabsatz 1 oder Unterabsatz 2 ergriffene Initiative wird den nationalen Parlamenten übermittelt. Wird dieser Vorschlag innerhalb von sechs Monaten nach der Übermittlung von einem nationalen Parlament abgelehnt, so wird der Beschluss nach Unterabsatz 1 oder Unterabsatz 2 nicht erlassen. Wird die Initiative nicht abgelehnt, so kann der Europäische Rat den Beschluss erlassen.

 

aus dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) um:

Artikel 25 Absatz 2: Auf dieser Grundlage kann der Rat unbeschadet der anderen Bestimmungen der Verträge zur Ergänzung der in Artikel 20 Absatz 2 aufgeführten Rechte einstimmig gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren nach Zustimmung des Europäischen Parlaments Bestimmungen erlassen. Diese Bestimmungen treten nach Zustimmung der Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften in Kraft.

Artikel 20 lautet:

(1) Es wird eine Unionsbürgerschaft eingeführt. Unionsbürger ist, wer die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt. Die Unionsbürgerschaft tritt zur nationalen Staatsbürgerschaft hinzu, ersetzt sie aber nicht.

(2) Die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger haben die in den Verträgen vorgesehenen Rechte und Pflichten. Sie haben unter anderem

a) das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten;

b) in dem Mitgliedstaat, in dem sie ihren Wohnsitz haben, das aktive und passive Wahlrecht bei den Wahlen zum Europäischen Parlament und bei den Kommunalwahlen, wobei für sie dieselben Bedingungen gelten wie für die Angehörigen des betreffenden Mitgliedstaats; C 115/56 DE Amtsblatt der Europäischen Union 9.5.2008

c) im Hoheitsgebiet eines Drittlands, in dem der Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen, nicht vertreten ist, Recht auf Schutz durch die diplomatischen und konsularischen Behörden eines jeden Mitgliedstaats unter denselben Bedingungen wie Staatsangehörige dieses Staates;

d) das Recht, Petitionen an das Europäische Parlament zu richten und sich an den Europäischen Bürgerbeauftragten zu wenden, sowie das Recht, sich in einer der Sprachen der Verträge an die Organe und die beratenden Einrichtungen der Union zu wenden und eine Antwort in derselben Sprache zu erhalten. Diese Rechte werden unter den Bedingungen und innerhalb der Grenzen ausgeübt, die in den Verträgen und durch die in Anwendung der Verträge erlassenen Maßnahmen festgelegt sind.)

Artikel 81 Absatz 3: Abweichend von Absatz 2 werden Maßnahmen zum Familienrecht mit grenzüberschreitendem Bezug vom Rat gemäß einem besonderen Gesetzgebungs- verfahren festgelegt. Dieser beschließt einstimmig nach Anhörung des Europäischen Parlaments.

Unterabsatz 2: Der Rat kann auf Vorschlag der Kommission einen Beschluss erlassen, durch den die Aspekte des Familienrechts mit grenzüberschreitendem Bezug bestimmt werden, die Gegenstand von Rechtsakten sein können, die gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren erlassen werden. Der Rat beschließt einstimmig nach Anhörung des Europäischen Parlaments.

Artikel 82 Absatz 3 Unterabsatz 1 Satz 1: Ist ein Mitglied des Rates der Auffassung, dass ein Entwurf einer Richtlinie nach Absatz 2 grundlegende Aspekte seiner Strafrechtsordnung berühren würde, so kann es beantragen, dass der Europäische Rat befasst wird.

Artikel 83 Absatz 1 Unterabsatz 3: Je nach Entwicklung der Kriminalität kann der Rat einen Beschluss erlassen, in dem andere Kriminalitätsbereiche bestimmt werden, die die Kriterien dieses Absatzes erfüllen. Er beschließt einstimmig nach Zustimmung des Europäischen Parlaments.

Artikel 83 Absatz 3 Unterabsatz 1  Satz 1: Ist ein Mitglied des Rates der Auffassung, dass der Entwurf einer Richtlinie nach den Absätzen 1 oder 2 grundlegende Aspekte seiner Strafrechtsordnung berühren würde, so kann es beantragen, dass der Europäische Rat befasst wird.

Artikel 153 Absatz2 Unterabsatz 4: In den in Absatz 1 Buchstaben c, d, f und g genannten Bereichen beschließt der Rat einstimmig gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren nach Anhörung des Europäischen Parlaments und der genannten Ausschüsse.  (Absatz 1 c bis g lautet: Zur Verwirklichung der Ziele des Artikels 151 (die Förderung der Beschäftigung, die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, um dadurch auf dem Wege des Fortschritts ihre Angleichung zu ermöglichen, einen angemessenen sozialen Schutz, den sozialen Dialog, die Entwicklung des rbeitskräftepotenzials im Hinblick auf ein dauerhaft hohes Beschäftigungsniveau und die Bekämpfung von Ausgrenzungen) unterstützt und ergänzt die Union die Tätigkeit der Mitgliedstaaten auf folgenden Gebieten:

c) soziale Sicherheit und sozialer Schutz der Arbeitnehmer,

d) Schutz der Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsvertrags,

e) Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer,

f) Vertretung und kollektive Wahrnehmung der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen, einschließlich der Mitbestimmung, vorbehaltlich des Absatzes 5,

g) Beschäftigungsbedingungen der Staatsangehörigen dritter Länder, die sich rechtmäßig im Gebiet der Union aufhalten.)

Artikel 192 Absatz 2 Unterabsatz 2 (betrifft Artikel 191 = Umwelt): Der Rat kann auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments, des Wirtschafts- und Sozialausschusses und des Ausschusses der Regionen einstimmig festlegen, dass für die in Unterabsatz 1 genannten Bereiche das ordentliche Gesetzgebungs-verfahren gilt.

Artikel 218  Absatz 8: Der Rat beschließt während des gesamten Verfahrens mit qualifizierter Mehrheit. Er beschließt jedoch einstimmig, wenn die Übereinkunft einen Bereich betrifft, in dem für den Erlass eines Rechtsakts der Union Einstimmigkeit erforderlich ist, sowie bei Assoziierungsabkommen und Übereinkünften nach Artikel 212 mit beitrittswilligen Staaten. Auch über die Übereinkunft über den Beitritt der Union zur Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten beschließt der Rat einstimmig; der Beschluss zum Abschluss dieser Übereinkunft tritt in Kraft, nachdem die Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften zugestimmt haben.

Artikel 223 Absatz 1: Das Europäische Parlament erstellt einen Entwurf der erforderlichen Bestimmungen für die allgemeine unmittelbare Wahl seiner Mitglieder nach einem einheitlichen Verfahren in allen Mitgliedstaaten oder im Einklang mit den allen Mitgliedstaaten gemeinsamen Grundsätzen. Der Rat erlässt die erforderlichen Bestimmungen einstimmig gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren und nach Zustimmung des Europäischen Parlaments, die mit der Mehrheit seiner Mitglieder erteilt wird. Diese Bestimmungen treten nach Zustimmung der Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften in Kraft.

Artikel 262: Unbeschadet der sonstigen Bestimmungen der Verträge kann der Rat gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren nach Anhörung des Europäischen Parlaments einstimmig Bestimmungen erlassen, mit denen dem Gerichtshof der Europäischen Union in dem vom Rat festgelegten Umfang die Zuständigkeit übertragen wird, über Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit der Anwendung von aufgrund der Verträge erlassenen Rechtsakten, mit denen europäische Rechtstitel für das geistige Eigentum geschaffen werden, zu entscheiden. Diese Bestimmungen treten nach Zustimmung der Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften in Kraft.

Artikel 311 Absatz 3: Der Rat erlässt gemäß einem besonderen Gesetzgebungs- verfahren einstimmig und nach Anhörung des Europäischen Parlaments einen Be- schluss, mit dem die Bestimmungen über das System der Eigenmittelder Union festgelegt werden. Darin können neue Kategorien von Eigenmitteln eingeführt oder bestehende Kategorien abgeschafft werden. Dieser Beschluss tritt erst nach Zustimmung der Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften in Kraft. Achtung ! Artikel 311  ist zwar im Amtsblatt der EU in Absätzen formatiert gedruckt. Diese sind aber nicht durchnummeriert ! Der obige Text ist der dritte Absatz

Artikel 312 Absatz 2 Unterabsatz 2: Der Europäische Rat kann einstimmig einen Beschluss fassen, wonach der Rat mit qualifizierter Mehrheit beschließen kann, wenn er die in Unterabsatz 1 genannte Verordnung erlässt.

Artikel 333 Absatz 1 und 2: (1)Wenn nach einer Bestimmung der Verträge, die im Rahmen einer Verstärkten Zusammenarbeit angewendet werden könnte, der Rat einstimmig beschließen muss, kann der Rat nach Artikel 330 einstimmig einen Beschluss dahin gehend erlassen, dass er mit qualifizierter Mehrheit beschließt.

(2) Wenn nach einer Bestimmung der Verträge, die im Rahmen einer Verstärkten Zusammenarbeit angewendet werden könnte, Rechtsakte vom Rat gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren erlassen werden müssen, kann der Rat nach Artikel 330 einstimmig einen Beschluss dahin gehend erlassen, dass er gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren beschließt. Der Rat beschließt nach Anhörung des Europäischen Parlaments.

Artikel 352: (1) Erscheint ein Tätigwerden der Union im Rahmen der in den Verträgen festgelegten Politikbereiche erforderlich, um eines der Ziele der Verträge zu verwirklichen, und sind in den Verträgen die hierfür erforderlichen Befugnisse nicht vorgesehen, so erlässt der Rat einstimmig auf Vorschlag der Kommission und nach Zustimmung des Europäischen Parlaments die geeigneten Vorschriften. Werden diese Vorschriften vom Rat gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren erlassen, so beschließt er ebenfalls einstimmig auf Vorschlag der Kommission und nach Zustimmung des Europäischen Parlaments.

(2) Die Kommission macht die nationalen Parlamente im Rahmen des Verfahrens zur Kontrolle der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips nach Artikel 5 Absatz 3 des Vertrags über die Europäische Union auf die Vorschläge aufmerksam, die sich auf diesen Artikel stützen.

(3) Die auf diesem Artikel beruhenden Maßnahmen dürfen keine Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten in den Fällen beinhalten, in denen die Verträge eine solche Harmonisierung ausschließen.

(4) Dieser Artikel kann nicht als Grundlage für die Verwirklichung von Zielen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik dienen, und Rechtsakte, die nach diesem Artikel erlassen werden, müssen innerhalb der in Artikel 40 Absatz 2 des Vertrags über die Europäische Union festgelegten Grenzen bleiben.

 

In all diesen Fällen ist das Tätigwerden der Verfassungsorgane zwingend vorgeschrieben. In der Begründung zum neu gefaßten Gesetz wird zu jeder Einzelvorschrift des Gesetzes die Nummer des Absatzes des Bundesverfassungsgerichtsurteils genannt, aus dem die Gesetzesvorschrift sich ableitet. Der Text des neu gefaßten Gesetzes einschließlich Begründung findet sich unter Bundestagsdrucksache 16/13923:

http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/139/1613923. pdf

Die übrigen Begleitgesetze sind zu finden unter:

http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/139/1613924.pdf bundestagsdrucksache 16 13924

http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/139/1613925.pdf bundestagsdrucksache 16 13925

http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/139/1613926.pdf bundestagsdrucksache 16 13926

 

Abschließend sei der Wortlaut des Leitsätze 1 und 3 des Urteils wiedergegeben, die m.E. ganz eindeutig festlegen, was erlaubt bzw. nicht erlaubt ist:

"Das Grundgesetz ermächtigt mit Art. 23 GG zur Beteiligung und Entwicklung einer als Staatenverbund konzipierten Europäischen Union. Der Begriff des Verbundes erfasst eine enge, auf Dauer angelegte Verbindung souverän bleibender Staaten, die auf vertraglicher Grundlage öffentliche Gewalt ausübt, deren Grundordnung jedoch allein der Verfügung der Mitgliedstaaten unterliegt und in der die Völker - das heißt die staatsangehörigen Bürger - der Mitgliedstaaten die Subjekte demokratischer Legitimation bleiben."

"Die europäische Vereinigung auf der Grundlage einer Vertragsunion souveräner Staaten darf nicht so verwirklicht werden, dass in den Mitgliedstaaten kein ausreichender Raum zur politischen Gestaltung der wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Lebensverhältnisse mehr bleibt. Dies gilt insbesondere für Sachbereiche, die die Lebensumstände der Bürger, vor allem ihren von den Grundrechten geschützten privaten Raum der Eigenverantwortung und der persönlichen und sozialen Sicherheit prägen, sowie für solche politischen Entscheidungen, die in besonderer Weise auf kulturelle, historische und sprachliche Vorverständnisse angewiesen sind, und die sich im parteipolitisch und parlamentarisch organisierten Raum einer politischen Öffentlichkeit diskursiv entfalten."

Fazit: Die Vereingten Staaten von Europa sind - jedenfalls so lange, wie das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland gültig ist, - für diese nicht erlaubt.

W. K.          08.11.2010

 

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