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Advent 2002: Rückschau

Dr. Wolfgang Klein


 

Advent 2002. Eine Rückschau.

Im Juli 2002 waren 71 % der Deutschen der Meinung, die Politik der seit 1998 agierenden Regierung Schröder sei nicht erfolgreich gewesen (WELT am SONNTAG 21.07.02). Zwei Monate später, am 22. 09.2002, wählten die Deutschen die Regierung Schröder wieder, wenn auch mit nur hauchdünner Mehrheit. In einem Rundfunkinterview nannte Prof. Dr. Christoph Stölzl, Vorsitzender des Landesverbandes Berlin der Christlich Demokratischen Union Deutschlands, den rot-grünen Wahlsieg einen "Sieg der Unvernunft über die Vernunft." Er sprach in diesem Zusammenhang über das "Unglück", das die Deutschen durch irrationale Stimmungen ereile: "Das war 1914 so, das große Unglück der Erdrutsch-Wahlen von 1931/32 war so". Die SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus von Berlin forderte den Rücktritt Stölzls vom Amt des stellvertretenden Parlamentspräsidenten. Wer den rot-grünen Wahlsieg mit dem Aufstieg der Nazis vergleiche, müsse seinen politischen Verstand verloren haben, wetterte SPD- Fraktionschef Michael Müller (Quelle u.a. Berliner Morgenpost vom 24.09.02).

Liebe Leser und Freunde, lassen Sie uns gemeinsam untersuchen, ob jemand den Verstand verloren hat - und sei es auch nur den politischen, wenn es denn einen solchen gibt. Sollten wir fündig werden, wird von höchstem Interesse sein, bei wem.

Im Dezember 2002, zwei Monate nach der Wiederwahl von Rot-Grün waren mit hoher Wahrscheinlichkeit mindestens wieder 71% der Deutschen der Meinung, die Politik der Regierung Schröder sei nicht erfolgreich gewesen; nach den Erkenntnissen der letzten Wochen kann man ergänzen: und sie wird es wohl auch in Zukunft nicht sein. Bei vielen ist der Eindruck entstanden, wir steuerten auf ein unheimliches und bedrohliches Chaos zu. Auch der Nichthistoriker weiß, daß es solche Entwicklungen früher schon gegeben hat und es stellt sich die Frage: Wie kann es dazu kommen ?

Lassen wir einige wenige Zeitzeugen aus den letzten 2000 Jahren zu Worte kommen und setzen wir voraus, daß  ihre Äußerungen jeweils aus gegebenem Anlaß fielen:

Rudolf Krämer-Badoni ~1970: "Ich sehe nur noch Verrückte um mich herum agieren".

Ludwig Erhard ~1960: "Wohlstand ist eine Grundlage, aber kein Leitbild für Lebensgestaltung. Ihn zu bewahren, ist noch schwerer, als ihn zu erwerben".

Peter Bamm ~1950: "In der Demokratie darf jeder sagen, was er denkt - auch wenn er gar nicht denken kann".

Thomas Mann ~ 1940: "Es ist ein entsetzlicher Anblick, wenn der Irrationalismus populär wird. Man fühlt, es muß ein Unglück geben, ein Unglück, wie die einseitige Überschätzung der Vernunft es niemals herbeiführen kann".

Arthur Schopenhauer +1860: "Im allgemeinen freilich haben die Weisen aller Zeiten immer dasselbe gesagt, und die Toren, das heißt die unermeßliche Majorität aller Zeiten, haben immer dasselbe, nämlich das Gegenteil getan. Und so wird es denn auch ferner bleiben".

Johann Wolfgang von Goethe +1832:  Alles Große und Gescheite existiert in der Minorität. Es ist nie daran zu denken, daß die Vernunft populär werde.

Erasmus von Rotterdamm, +1536: "Intelligenz macht schüchtern".

Plutarch +123: "Nicht alles zu können, ist keineswegs schädlich. Allein solche Dinge auf sich zu nehmen, zu denen man weder Kräfte noch Geschicklichkeit hat, und sich gar mit Gewalt dazu zu drängen, ist schändlich und bringt obendrein großen Verdruß".

Cicero, 55 v. Chr.: "Der Staatshaushalt muß ausgeglichen sein. Die öffentlichen Schulden müssen verringert werden. Die Arroganz der Behörden muß gemäßigt und kontrolliert werden. Die Zahlungen an ausländische Regierungen müssen reduziert werden, wenn der Staat nicht bankrott gehen soll. Die Leute sollen wieder lernen zu arbeiten, statt auf öffentliche Rechnung zu leben".

Die Reihe ließe sich fast beliebig erweitern , ergänzen, auffüllen.

Gehen wir noch weiter zurück: Aus der vorchristlichen Zeit sind besonders im Alten Testament Untaten unterschiedlichster Art in oft drastischer Deutlichkeit beschrieben:

Jakobs Söhne verkaufen ihren Bruder Joseph ( 1. Mose, Kap. 37): Die Söhne Jakobs neideten ihrem jüngsten Bruder Joseph die besondere Zuneigung des Vaters und wollten ihn deshalb töten. Nachdem Ruben und später auch Juda diesem Plan widersprochen hatten, verkauften sie Joseph an midianitische Kaufleute und sagten dem Vater, ein wildes Tier habe Joseph zerrissen.

Exodus: Kaum war nach vielen Schwierigkeiten der Auszug der Kinder Israel aus Ägypten vollzogen (um 1500 v. Chr.; dtv-Bibel-Lexikon Bd. 1, S. 230) und die wortbrüchigen Ägypter mit ihrem Verfolgerheer in den Fluten des Meeres versunken, murrte das Volk wider Mose, weil es drei Tage lang kein trinkbares Wasser gab. Nachdem auch dieses Problem auf wunderbare Weise gelöst war, wenig später das: "Und es murrte die ganze Gemeinde der Kinder Israel wider Mose und Aaron in der Wüste und sprachen: Wollte Gott, wir wären in Ägypten gestorben durch des Herrn Hand, da wir bei den Fleischtöpfen saßen und hatten die Fülle Brot zu essen;  denn ihr habt uns darum ausgeführt in diese Wüste, daß ihr diese ganze Gemeinde Hungers sterben lasset" (2. Buch Mose, Kap. 14 - 16).  Und so ging es weiter während der nachfolgenden 40jährigen Wüstenwanderung.

König Davids heimtückischer Mordplan (2. Samuel, Kap. 11): Israel lag im Krieg mit den Ammonitern. David bemächtigte sich der Batseba und schwängerte sie, während ihr Ehemann Uria im Heere Davids an der Belagerung von Rabba teilnahm. Um den Ehebruch zu vertuschen, gab David Weisung, Uria im Kampf so einzusetzen, daß er zu Tode kam. 

Kriege: Nach dem Zerfall des Salomonischen Reichs kam es zum Krieg zwischen Juda und Israel, sodaß "Abia mit seinem Volk eine große Schlacht an ihnen tat, und fielen aus Israel 500.000 junger Mannschaft" (2. Chronik, Kapitel 13). Fast zahllose weitere Beispiele ähnlichen Inhalts ließen sich anfügen.

Isebels Mordplan (1. Könige Kap. 21): König Ahab begehrte den Weinberg seines Nachbarn Naboth. Als dieser nicht verkaufen wollte, schrieb Isebel, des Königs Frau, Briefe unter Ahabs Namen  an die Obersten der Stadt, sie sollten Naboth zu einem Bankett laden und dort durch "zween lose Buben" öffentlich bezichtigen lassen, er habe Gott und dem König abgesagt, damit er gesteinigt werde.  So geschah es und Ahab hatte den begehrten  Weinberg.

Hamans Plan zur Ausrottung der Juden (Esther, Kap. 3 - 9): Haman, der Mächtigste am Hofe des Xerxes sprach zum König : "Es ist ein Volk zerstreuet und teilet sich unter die Völker in allen Ländern deines Königreichs und ihr Gesetz ist anders denn aller Völker und tun nicht nach des Königs Gesetz" (Esther, Kap. 3 Vers 8). Haman gelang es, die Zustimmung des Königs zur Ausrottung der Juden zu erlangen. Er schrieb an die Fürsten, Landpfleger und Hauptlaute aller 127 Länder des Persischen Großreichs, "zu vertilgen, zu erwürgen und umzubringen alle Juden, jung und alt, Kinder und Weiber auf einen Tag, nämlich auf den 13. Tag des 12. Monats, das ist der Monat Adar, und ihr Gut zu rauben" (Esther, Kapitel 3 Vers 13). Die von Xerxes sehr geliebte Königin Esther, von der niemand bei Hofe wußte, daß auch sie dem jüdischen Volk angehörte, konnte diese Untat verhindern. Haman wurde gehenkt. "Aber die anderen Juden in den Ländern des Königs kamen zusammen, und stunden für ihr Leben, daß sie Ruhe schafften vor ihren Feinden, und erwürgten ihrer Feinde 75.000; aber an ihre Güter legten sie ihre Hände nicht" (Esther Kap. 9, Vers 16).

Eine Vielzahl weiterer alttestamentarischer Belege für menschliche Unvernunft und Bosheit, für menschliches Verhalten in all seiner Unvollkommenheit ließe sich hinzufügen.

Ein wenig bekannter zeitgeschichtlicher Beitrag zum Thema ist das sogenannte Milgram-Experiment. Vor dem Hintergrund der unter nationalsozialistischer Herrschaft begangenen Untaten untersuchte der amerikanische Sozialpsychologe Prof. Dr. Stanley Milgram, geboren 1933 in New York, die Gehorsamsbereitschaft einer repräsentativen Gruppe von Personen aus New Haven in einer weltweit anerkannten, wissenschaftlich exakten Versuchsanordnung. Unter Aufsicht eines Versuchsleiters sollten die Versuchspersonen als "Lehrer" falsche Antworten ihrer "Schüler" durch elektrische Stromstöße steigender Spannung ( 30 Stufen von 15 bis 450 Volt !) bestrafen. Den Versuchspersonen wurde gesagt, Ziel dieser wichtigen wissenschaftlichen Untersuchung sei herauszufinden, welchen Einfluß Strafe auf Lernfähigkeit habe. Die Stromstöße waren - für die auslösenden Versuchspersonen nicht erkennbar - vorgetäuscht, ebenso die Schmerzäußerungen der "Schüler" = Opfer sowie deren  Proteste und Bitten um Beendigung des Experiments. Der Versuchsleiter drängte die Versuchspersonen, im Interesse der Wissenschaft das Experiment zu Ende zu führen. -- In einer Paralleluntersuchung waren Psychologen, Studenten und Personen der Mittelschicht nach Erläuterung des Experiments der Auffassung, alle Versuchspersonen würden irgendwann den Gehorsam verweigern und zwar spätestens bei  Schockstufe 8 bis 9. Das erwies sich als fulminante Fehleinschätzung, denn im Experiment schalteten 68% der Versuchspersonen bis Stufe 30 = 450 Volt durch !!!! Anders ausgedrückt: Drei Viertel der Durchschnittsbevölkerung können durch eine pseudo-wissenschaftliche Autorität dazu gebracht werden, in bedingungslosem Gehorsam ihnen völlig unbekannte, unschuldige Menschen zu quälen, zu foltern,  ja zu liquidieren. Und das, ohne für den Fall des Ungehorsams selbst irgendeiner Bedrohung ausgesetzt gewesen zu sein. Ein Kommentar: "Wer an das Gute im Menschen glaubt und auf demokratisch-humanitäre Fortschritte hofft, wird durch Milgrams Befunde desillusioniert werden." (Quellen: Eddy v. Avermaet in Stroebe: Sozialpsychologie,  Springer Verlag Berlin, Heidelberg, New York, 1996 S. 536-538; Stanley Milgram: Das Milgram Experiment, Rowohlt Taschenbuch 1993)

 

Wir Christen gehen davon aus, daß über all dem Schrecklichen, zu dem Menschen fähig sind und über all den Mängeln, die Menschen unfähig machen, Notwendiges zu tun, ein Gott waltet und sich immer wieder in unvorhersehbarer und glücklicher Weise in das Geschehen regelnd einschaltet. Ich rechne hierzu die zu ihrer Zeit von keinem erwartete oder auch nur für möglich gehaltene Wiedervereinigung dessen, was von Deutschland übrig geblieben ist und z.B. auch die Auffindung des Grabes meines Vaters in der ehemaligen Sowjetunion 56 Jahre nach seinem Tode, bei der eine Kette an ein Wunder grenzender, scheinbarer Zufälligkeiten ebenso im Spiele war, wie beim Fall der Mauer. Das entbindet nicht von der Notwendigkeit, die historische Hinterlassenschaft der Menschheit zur Kenntnis zu nehmen und die notwendigen Schlußfolgerungen aus ihr zu ziehen.

Politik, die das nicht sondern das Gegenteil tut, nämlich menschliche Verhaltensweisen bei ihren Erwägungen außer Acht läßt, ist zum Scheitern verurteilt und kann in die Katastrophe führen. Ein krasses Beispiel dafür ist der Marxistisch-Leninistische Materialismus: Das Primat der Materie, außerhalb derer nichts existiere und die durch ihre Bewegungen alle Erscheinungen in unserem Kosmos hervorbringe, hat zu dem Irrglauben geführt, man müsse das Materielle nur richtig regeln, dann würden die Dinge schon in Ordnung kommen und sich das Paradies auf Erden einstellen. Den Menschen in seiner Unvollkommenheit hat Marx nicht berücksichtigt. Dialektischer und historischer Materialismus erzeugten einen ausgesprochenen "Machbarkeitswahn" und in dessen Folge eine ausufernde Regulierungswut. Hinzu kam ein Unfehlbarkeitswahn und die Anmaßung eines Gewaltrechts zur Vernichtung des "Klassenfeindes", der im politisch organisierten marxistischen Machtbereich 100 Millionen Menschen zum Opfer fielen  (Courtois: Schwarzbuch des Kommunismus). Die Entstehung des Paradieses auf Erden allerdings blieb aus, wie wir alle wissen. Dachte man, mit dem Zusammenbruch des sogenannten Ostblocks seien diese Dinge ein für allemal vom Tisch, erwies sich das als Irrtum. Es ist das Verhängnis der Deutschen Sozialdemokratie, sich bis heute nicht überzeugend von ihren marxistischen Ursprüngen gelöst zu haben. Marxistischer Machbarkeitswahn und aus ihm erwachsene Regulierungswut feiern fröhliche Urständ. Man hat den Eindruck, daß vielen Sozialdemokraten die marxistische Herkunft  ihrer Vorstellungen und Gedanken nicht einmal mehr bewußt ist, und das macht die Sache eher noch gefährlicher. Sozialdemokraten haben sich in der sowjetischen Besatzungszone mit den Kommunisten zur Sozialistischen Einheitspartei vereinigt und paktieren heute mit der umbenannten SED! Zur Rechtfertigung wird darauf hingewiesen, die Kommunisten (PDS) seien schließlich durch legale Wahlen in Parlamente gelangt und ihre Anwesenheit dort ist mithin legitim. Das waren die Reichstagsabgeordneten der NSDAP nach den Wahlen 1932 und 1933 auch. Was daraus entstand, wissen wir. Daß in der Folge alle Sicherungsmechanismen der parlamentarischen Demokratie versagten und sich eine Einparteiendiktatur verfassungskonform etablieren konnte, ist bekannt. Wer daraus auf ein Selbstgefährdungspotential der parlamentarischen Demokratie schließt, liegt so falsch offenbar nicht, auch wenn die verfassungsrechtliche Ausgangssituation heute eine andere ist als 1933. Die Gefährdungen haben sich ebenfalls verändert. Emotional aufgeladene Wähler sind auch Teil des Selbstgefährdungspotentials. Auf nichts anderes hat Christoph Stölzl mit seinen eingangs zitierten Äußerungen hingewiesen. Eines ist m. E. sicher: Er hat seinen Verstand nicht verloren, auch nicht den politischen, wenn es einen solchen denn gibt. Ob die Verursacher jüngerer und gegenwärtiger Fehler den Verstand verloren haben, ist mindestens in einigen Fällen angesichts begründeter  Zweifel an der verstandesmäßigen Ausgangslage zweifelhaft. Möglicherweise gab es da nicht viel zu verlieren. Mag jeder seine egenen Schlußfolgerungen ziehen !!

17.12.2012: Dieser Artikel wurde im Dezember 2002 verfaßt. Hat sich die Lage im Lande in den seither vergangenen Jahren grundsätzlich und entscheidend verbessert ??

W. K.

 

 

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